"Ich wollte nur leben"

Prüm · Beim letzten Termin des Eifel-Literatur-Festivals 2012 lässt die Nobelpreisträgerin Herta Müller ihre Werke und ihr Leben Revue passieren. Der Abend ist mit 700 Gästen ausverkauft.

 Mächtige Wörter: Herta Müller liest aus ihren Büchern vor; links Ernest Wichner, Leiter des Literaturhauses in Berlin. TV-Foto: Klaus Kimmling

Mächtige Wörter: Herta Müller liest aus ihren Büchern vor; links Ernest Wichner, Leiter des Literaturhauses in Berlin. TV-Foto: Klaus Kimmling

Prüm. Es ist ein vertrauter Anblick, den Herta Müller bietet. Wie immer schwarz gekleidet, die Lippen glänzen rot. Die Nobelpreisträgerin 2009 liest beim letzten Termin des Eifel-Literatur-Festivals 2012. 700 Menschen sind nach Prüm gekommen, um in den Bann dieser zierlichen, grazilen Frau mit der mächtigen Sprache zu geraten.
Auf der Bühne sitzt sie zusammen mit ihrem Wegbegleiter aus rumänischen Tagen, Ernest Wichner, Leiter des Literaturhauses in Berlin. Im Gespräch mit ihm redet sie über ihr Leben in Rumänien, liest aus ihren Büchern vor und erzählt von deren Entstehungsgeschichte. "Damals hatte ich keinen freien Kopf", sagt die Schriftstellerin. Damals ist die Zeit der kommunistischen Unterdrückung in Rumänien. Müller, 1953 in Nitzkydorf geboren, gehört zur deutschen Minderheit in Rumänien. Als die Securitate, der rumänische Geheimdienst, sie als Spitzel gewinnen will, sagte sie Nein. So fangen die Schikanen auf der Arbeit an.
Jeden Tag in die Fabrik


"Jeden Tag musste ich zum Direktor der Fabrik gehen", erzählt sie. Er fragt sie, ob sie schon eine neue Stelle gefunden hat. "Und jeden Tag habe ich geantwortet: Nein, ich bleibe hier bis zur Rente. Das hat ihn verrückt gemacht", sagt Müller und lächelt. Aufgeben und kündigen, das will sie nicht.
Als sie dann entlassen wird, beginnen die Ex-Kollegen sie zu verleumden. "Das war schlimmer als die Todesdrohungen", erinnert sie sich. "Da habe ich versucht mir zu helfen - und habe diese Dinge geschrieben". Diese Dinge sind nun Weltliteratur. "Ich wollte keine Literatur schreiben, ich brauchte eine Vergewisserung, ich brauchte Halt", erzählt sie hastig. "Ich wollte nur leben".
Herta Müller redet lebendig. Oft schweift sie ab, erzählt Episode über Episode. Sie schaut nach oben, als ob die Wörter in der Luft hingen. Und sie schmunzelt. Ja, sie kann über die Unterdrückung, die Verfolgung und die Demütigung mit einer gewissen Leichtigkeit reden - sogar scherzen. "Sie haben gedroht, mich in den Fluss zu werfen", erinnert sie sich, "dann bin ich einfach vom Fluss weggeblieben."
Wenn sie aber aus ihren Romanen vorliest, wird sie todernst. Nach vorne gebeugt, um das Mikrofon zu erreichen, spricht sie mit rauchiger Stimme und langsamer. Weil es etwas Ernstes ist, das sie mit ihrem Werk erreichen will. Der Kampf gegen das Vergessen lebt in ihren Romanen fort. Wie in "Atemschaukel", dem Buch, das vom Alltag im sowjetischen Arbeitslager handelt. "Da wird man sprachlos und denkt, woran man muss - wenn man auch nicht will", liest sie aus dem Roman.
Das Erinnern ist ihr Lebenswerk, ihre Mission. Das zeigt sie an diesem Abend in Prüm. Sogar ihre Text-Collagen aus dem jüngsten Buch "Vater telefoniert mit den Fliegen" verweisen immer wieder auf diese Zeit in Rumänien.
Mit ihrer Geschichte und ihren Geschichten möge sie die Gäste erwärmen, hat Josef Zierden, Leiter des Festivals, sich am Anfang des Abends gewünscht. Und das hat Herta Müller getan.

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