Mit dem Erreichten zufrieden sein

Daun · Heute, am Weiberdonnerstag, zeigen Frauen ihre Stärke öffentlich und übernehmen auf der Straße das Regiment. Von weiblicher Stärke im Privaten hingegen erzählt Anne Gesthuysen in ihrem Roman "Wir sind doch Schwestern", den sie im Mai auf dem Eifel-Literatur-Festival in Daun vorstellt.

Daun.Frauen. Es sind Anne Gesthuysens Großtanten, die fast das ganze 20. Jahrhundert erlebt haben. Gertrud führt ein selbstständiges Leben als Lehrerin und Schulleiterin, nachdem ihr Verlobter im Ersten Weltkrieg gefallen ist. Paula gründet eine Familie und bleibt ihrem Mann auch noch treu, als er wegen Homosexualität ins Gefängnis kommt und die Ehe geschieden wird. Katty verlässt früh ihr Elternhaus und wird Hauswirtschafterin auf dem Hof des Großbauern und Politikers Heinrich Hegmann. Bald hat sie eine Machtposition als seine engste Vertraute und politische Beraterin inne, die Ehe mit ihm bleibt ihr allerdings aus Standesgründen versagt.Eifel-Literatur-festival 2014


Was macht die Stärke der Frauen in Ihrem Buch aus?
Anne Gesthuysen: Dass sie sich Ziele setzen und auf sie hinarbeiten. Sie wissen, dass sie vielleicht Umwege gehen müssen, aber auch, was sie erreichen wollen und können. Und dann sind sie zufrieden, genießen, was sie erreicht haben und hadern nicht mit dem, was nicht geglückt ist. Ich glaube, das ist etwas, das tatsächlich diese Generation auszeichnet. Nicht nur die Frauen damals wussten, wie gering die Möglichkeit ist, im Leben ein umfassendes Glück zu bekommen. Sie konnten deshalb auch mit einem halben Glück zufrieden sein. Und das ist heute, glaube ich, anders.

Inwiefern?
Gesthuysen: Heute ist man fixiert auf die Vollkommenheit. Da gibt es das Gefühl, ein Recht auf umfassendes Glück zu haben, sowohl im Job als auch im Privatleben, selbstverständlich bei bester Gesundheit. Aber das macht uns etwas schwächlich und auch traurig. Denn wir zerbrechen daran, wenn es in einem Bereich nicht funktioniert. Wir können dann auch das Glück im anderen Bereich nicht genießen.
Früher war es eben selbstverständlich, dass man nicht alles hatte. Heutzutage ist es so, dass jemand, der eine Krankheit hat oder jemanden verliert, fragt: Warum ausgerechnet ich, warum muss mir das passieren? Diese Frage stellte sich früher nicht, weil jede Familie jemanden verloren hat. Geteiltes Leid ist halbes Leid. Wenn man sieht, das Leid ist überall, dann fühlt man sich vom Schicksal nicht so ungerecht behandelt.

Wie reagieren jüngere Frauen auf Ihre Figuren?
Gesthuysen: Ich bekomme kein philosophisch nachdenkliches Echo. Es findet eher eine Identifikation über Familie statt, viele erkennen eigene Verwandte wieder. Für junge Menschen ist diese Generation spannend, weil sie noch vom Krieg erzählen kann. Und wenn da auch viele Geschichten traurig sind, immer künden sie auch vom Lebenshunger der Überlebenden. Und das hat für junge Leute erst mal etwas Motivierendes, ohne dass sie nachdenken, ob sie genauso oder anders reagieren würden. Sie bekommen so ein unbestimmtes Gefühl von: Ja, Lust am Leben, und denken vielleicht im Nachklang: "Ach, lass es doch mal gut sein, ist zwar nicht alles perfekt bei mir, aber doch im Großen und Ganzen toll".

Womit können die drei Schwestern und ihre Generation uns heute ein Vorbild sein?
Gesthuysen: Was der jungen Generation heute oft abgeht, ist der Wunsch etwas aus seinem Leben zu machen. Es muss ja nicht die perfekte Karriere, es kann ja auch das eigene Glück oder das einer Familie sein. Und das war den Menschen früher klarer. Die wollten und hatten Aufbruchsstimmung - zumindest die drei Damen. Und damit waren sie schon wieder sehr modern. ae
Extra

Anne Gesthuysen liest als Gast des Eifel-Literatur-Festivals 2014 am Dienstag, 27. Mai, im Forum Daun. Karten gibt es im TV-Service-Center in Trier, unter der TV-Tickethotline 0651/7199-996 sowie im Internet unter www.volksfreund.de/tickets Informationen über das Festival unter www.eifel-literatur-festival.de ae

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