Romeo und Julia als Sozialdrama im Theater Trier

Trier · Eine rundherum gelungene Premiere im Theater Trier und eine beachtliche Leistung: Mit minutenlangem Jubel haben mehr als 600 Zuschauer am Samstagabend Birgit Scherzers Inszenierung von "Romeo und Julia" belohnt.

 Ende einer tragischen Liebesgeschichte: René Klötzer (Romeo) und Ayumi Noblet (Julia) tanzen sich in die Herzen des Trierer Theaterpublikums. TV-Foto: F. Vetter

Ende einer tragischen Liebesgeschichte: René Klötzer (Romeo) und Ayumi Noblet (Julia) tanzen sich in die Herzen des Trierer Theaterpublikums. TV-Foto: F. Vetter

Trier. "Geh ran", möchte man Romeo zurufen, wenn ihn Julia am Handy in ihre Fluchtpläne einweihen will. Natürlich geht er nicht dran, und das Verhängnis nimmt seinen Lauf. Julia schluckt ihr Schlafmittel, Romeo hält sie daraufhin für tot und bringt sich aus Verzweiflung selbst um.
Dass die Sache schwierig wird, war schon eingangs klar, als sich auf der Bühnenleinwand ein überfülltes Flüchtlingsschiff näherte, aus dem Romeo und seine Familie an Land gingen.
Birgit Scherzer hat Sergej Prokofievs Ballett "Romeo und Julia" nach William Shakespeares Tragödie in die Gegenwart geholt. Und nicht nur das: Für ihre Trie-rer Inszenierung hat sie das riesige Werk, das ursprünglich für die große Truppe des Bolschoi Theaters geschrieben wurde, auf die Verhältnisse des zwölfköpfigen hauseigenen Ensembles zugeschnitten. Herausgekommen ist dabei ein ebenso schlüssiges wie vielfarbiges Tanztheaterstück, das als flotte Mischung aus klassischem Ballett und modernem Tanz anschaulich die Geschichte der beiden unglücklich Liebenden erzählt.
In Trier sind es keine gleichrangigen verfeindeten Adelsfamilien, die sich bekriegen. Die Berliner Choreographin hat das Drama ins Asylanten- und Mittelstandsmilieu übertragen. Romeo Montague ist ein "Underdog", ein sozialer Außenseiter. Dagegen ist Julia Capulet als behütete Tochter eines wohlhabenden Autohändlers aufgewachsen. Bonbonrosa steht seine Zuckerbäcker-Villa auf Manfred Grubers gut eingerichteter Bühne, vis à vis zu seinem gigantischen Kranwagen, der Kathedrale seines Wohlstands. Die wird ganz schnell - ein genialer Einfall - zum Kreuz und zur Kapelle für die Not der Liebenden.
Mit ihrer Hinwendung zum sozialen Konflikt entfernt sich die Choreographin allerdings von Shakespeare. Aus seinem Psychogramm menschlichen Hasses macht sie ein Sozialdrama. In Trier verbluten die Liebenden nicht an der unversöhnlichen Natur ihrer Familien, sondern an der gesellschaftlichen Unfähigkeit zur Integration, an sozialer Ausgrenzung. Romeo und Julia kommen in Trier nicht zusammen, weil der gesellschaftliche Graben viel zu tief ist.
All das geht gut ausbalanciert mit erfreulicher Leichtigkeit über die Bühne, als jene Mischung aus Poesie, Witz und Dramatik, wie sie der Musik und der literarischen Vorlage eigen sind. Die Trierer Tänzer sind bestens aufgelegt und mit großem Engagement bei der Sache. Julia, die wunderbar leichtfüßige, wandlungsfähige Ayumi Noblet ist ein kesser Teenager, der seine Wut am Punching Ball austobt und in seiner ohnmächtigen Verzweiflung anrührt.
Kraftvoll, geschmeidig und ausdrucksstark ist René Klötzer der herausragende Tänzer des Abends. Passgenau sitzen seine Bewegungen auf der Musik. Ein hinreißender Komödiant ist der rappende Andres de Blust-Mommaerts als Romeos Freund Mercutio. Bewegend: Juliane Hlawati als Romeos Mutter. Als Julias Vetter Thybalt lässt Noala de Aquino mit eindrücklich selbstbewusster Beschränktheit die Muskeln spielen. Auch Christin Braband (Julias Mutter) überzeugt in ihrer Wandlung von der verwöhnten Unternehmersgattin zur Schmerzensmutter.
Dass das Stück bunt und dabei eindringlich bleibt, dafür sorgen auch Gera Grafs phantasievolle Kostüme und die vielfarbigen Bilder. Und natürlich die Musik: Victor Puhl und das Philharmonische Orchester der Stadt Trier bereiten dynamisch, mit feinem Gefühl für die kontrastreiche Musik dem Tanz einen sicheren Boden.

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