Sprechstunde für drei Generationen

Losheim · Jede Menge Selbstironie, ein bisschen Comedy und ein Zweieinhalb-Stunden-Mix durch drei Jahrzehnte Bandgeschichte: "Die Ärzte" haben vor rund 14 000 Zuschauern am Losheimer Stausee die Generationen verbunden.

Losheim. Was ist das beste Gegengift, wenn man sich ausnahmsweise mal alt fühlen sollte, müde und leer? Vielleicht, weil man bald tapfer das halbe Jahrhundert Dasein auf dem Planeten vollmacht? Man lädt sich noch Ältere ein. Nicht die trägen Spießer, sondern die alten Helden. Die noch mal klarmachen, dass Altsein nichts mit Jahreszahlen zu tun hat. So könnte man sich die Bandzusammenstellung bei den Ärztivals erklären, wie beim vom TV präsentierten Konzert am Samstagabend in Losheim. Mit Ausnahme vom Opener "Der Fall Böse" sind alle Bands seit mindestens 30 Jahren auf der Bühne. Bei den alten Londoner Punkrecken von The Damned sind es noch ein paar Jahre mehr als bei den Ärzten und NOFX.
Damals, Ende der 70er, reiste Jan Vetter - das ist der bürgerliche Name von Die-Ärzte-Sänger Farin Urlaub - als Teenie nach London. Er kehrte schwer beeindruckt als Punk zurück nach Berlin.
Und heute, ein paar Wochen vor Vetters 50. Geburtstag? Da können sich Farin, Bela B. und Rodrigo González von Konzert zu Konzert davon überzeugen, dass sie einiges richtig gemacht haben. Und dass sie nicht - wie andere Bands - nur noch alternden Nostalgikern die Reste der Jugend vor die Plauze knallen müssen. Wenn Die Ärzte zur Visite kommen, sieht es anders aus.
In den ersten Reihen: jede Menge Teenies, manche mit grün und rot gefärbten Haaren, die aber mit dem Punk von 1976 so viel zu tun haben wie der Losheimer Stausee mit dem Atlantik. Es fliegen BHs Richtung Bühne, manche Fans halten Transparente mit gemalten Herzen hoch ("Ich liebe dein Lachen"). Das ist halb ernst, halb Spiel mit den Klischees. Es geht immer noch bevorzugt um Spaß, auch wenn die Texte seit den 90ern durchaus politischer geworden sind als in der ersten Bandphase von 1983 bis 1988.
Weiter hinten müssen sich auch die Ü40er nicht einsam fühlen. Bei den Wunschtiteln mögen die Generationen nicht immer einer Meinung sein. Alte Songs wie 2000 Mädchen, Radio Brennt oder Madonnas Dickdarm verbindet textlich nicht mehr viel mit den neueren Hits wie Junge, Deine Schuld oder Lasse red\'n. Über die Jahrzehnte geblieben ist aber die Eingängigkeit und die sympathische Selbstironie der Berliner, die sich schon als "beste Band der Welt" bezeichnete, als sie davon noch viel weiter entfernt war als heute. So albern sich Farin, Bela und Rod auf entspannte Art routiniert durch die zweieinhalb Stunden, ohne Allüren und ohne Schnickschnack. Aber inklusive dreier Zugabeblöcke, "Pur"-Fans-Gedisse (Pur spielte einen Tag zuvor am See) und einer T-Shirt-Wedel-Laola. Die schwarzen Wolken, die sich am Abend drohend über dem See aufgetürmt hatten, verzogen sich dann schnell.

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