Von Individualität und 10 000 pinkfarbenen Stringtangas

Trier · Als kaltwütiger Herr Schüttlöffel hat der Kabarettist Thomas Freitag nicht nur die Lachmuskeln, sondern auch die Gehirnzellen zu mehr Betätigung angeregt. 150 Zuschauer haben sich bei einem satirischen Abend in der Tufa amüsiert.

 Legt die Machtlosigkeit der Mächtigen offen: Kabarettist Thomas Freitag in der Tufa. TV-Foto: Stefanie Braun

Legt die Machtlosigkeit der Mächtigen offen: Kabarettist Thomas Freitag in der Tufa. TV-Foto: Stefanie Braun

Trier. Herr Schüttlöffel ist wütig. Und nicht nur das, er ist auch noch Bibliothekar einer Bibliothek, die geschlossen werden soll. Wegen Sparmaßnahmen. Zusammen mit seinen Weggefährten Schiller, Marx und Willi Brandt verbarrikadiert er sich in seiner Bibliothek, in der die Bücher bereits so alt sind, dass die Bibeln "von Gott selbst signiert wurden". Dabei sinniert er über den Unsinn der Sparmaßnahmen, eine Welt, die als Satzzeichen nur noch das Ausrufezeichen kennt und über ein Land, das aus Dichtern und Denkern bestand und sich heute auf sein Gewicht und die Kalorientabelle auf seinen Nahrungsmitteln beschränken lässt.
Bewirtungsbeleg fürs Stillen


Fragt sich, ob Steuerberater von ihren Müttern bereits als Säuglinge einen Bewirtungsbeleg nach dem Stillen forderten oder ob Angela Merkel, die Bundesmutti, in Wirklichkeit immer ein und denselben Hosenanzug trägt und diesen lediglich jeden Morgen von einem ihrer Minister mit einer neuen Farbe anspritzen lässt. Wie kann man nach Individualismus streben im Angesicht von 10 000 pinkfarbenen String-tangas bei namhaften Modeketten?
Doch wo Marx auf Ford trifft und Friedrich Schiller auf Richard David Precht, kann Herr Schüttlöffel auf seiner Bank der Ideen jederzeit anlegen, vermehren und abheben und über die Schriften von Marx und die Dramen von Schiller verschwörerisch tuscheln wie über Geheimwaffen. Denn Lesen macht nicht nur klug, sondern auch herrlich unproduktiv in einer Welt, die immer weiter nach dem Optimum strebt.
Thomas Freitags Kabarett ist nicht das eines zynischen alten Menschenverachters, sondern das eines Weltverbesserers, der daran erinnern möchte, dass es eine Alternative gibt und das man doch mal mehr wollte als das Reihenhaus am Stadtrand. Geistreich und wortgewandt legt er die Machtlosigkeit der Mächtigen offen, zeigt mit dem Finger auf die politische Richtungslosigkeit, schlüpft dabei in die Rollen von Marx, Schiller oder Brandt. Dafür erntet er von den fast 150 Zuschauern im Großen Saal der Tufa oder den "lieben Gaffern", wie er sie nennt, langanhaltenden Applaus und viele Lacher. sbra

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