Von Wahn und Sinn

Wer eine mit leichter Hand inszenierte Irrenhaus-Komödie erwartet hatte, musste sich eines Besseren belehren lassen: "Einer flog übers Kuckucksnest" ist im Theater Trier eine anrührende, bisweilen wunderbar komische, vor allem aber nachdenkliche Auseinandersetzung mit den Mechanismen von Macht.

 Damenbesuch (Antje Härle) im Irrenhaus: Da freut sich McMurphy (Michael Ophelders). TV-Foto: Friedemann Vetter

Damenbesuch (Antje Härle) im Irrenhaus: Da freut sich McMurphy (Michael Ophelders). TV-Foto: Friedemann Vetter

Trier. Schon das Bühnenbild von Sabine Mann ist eine Überraschung. Kein stacheldraht-umzäunter, fluchtresistenter Psycho-Knast irgendwo im Grünen, stattdessen ein großzügiges Atrium mit verführerischem Blick auf die Skyline einer Metro pole, gesichert mit einem weitmaschigen Gitter, das kaum geeignet wäre, ernsthaft Ausbruchswillige aufzuhalten.

Mehr ist nicht nötig, denn die meisten, die hier behandelt werden, haben vor dem Dschungel da draußen viel mehr Angst als vor den "Segnungen" der Psychiatrie mit ihren Gruppensitzungen und Psychopharmaka. Nur Randle McMurphy ist anders, der kleine Verbrecher, der lieber verrückt spielt, als im Gefängnis zu schmoren.

Michael Ophelders spielt ihn - in sicherer Distanz zum Film-Typus von Jack Nicholson - nicht überlebensgroß, sondern als alltägliches, menschliches, lebensfrohes Stehaufmännchen.

Ein Mensch, der hinterfragt statt sich anzupassen



Kein bewusster Anarchist, der sich politisch auflehnt, wohl aber ein Mensch, der Regeln hinterfragt, statt sich ihnen einfach anzupassen.

Das bringt ihn in einen tödlichen Machtkampf mit dem System, verkörpert durch die (von der Regie ein bisschen arg holzschnittartig als böse Märchen-Hexe angelegte) Schwester Ratched. Es geht nicht um die Sache, es geht darum, wer das Sagen hat. Die Herrschaft der Schwester gründet zum einen auf dem Glauben der Patienten, die Obrigkeit werde schon das Richtige für sie tun, und zum anderen auf der Angst vor Repression. McMurphy, der wenig Angst hat und noch weniger glaubt, bringt das System ins Wanken, weil sein Verhalten auch die anderen zum Zweifeln anstiftet. Aber er hat letztlich keine Chance, weil die Zeit noch nicht reif und die Macht noch zu stabil ist.

Ophelders und Sabine Brandauer spielen diesen Kampf, der für McMurphy tödlich endet, mit beklemmender Intensität. Und die "Verrückten" drumherum sind weit mehr als eine skurrile Staffage. Regisseur Jürgen Lorenzen lässt sich Zeit mit ihnen, degradiert ihre Ticks und Verkrüppelungen nicht zu einem Panoptikum. Das ist anfangs durchaus anstrengend und manchmal ein bisschen langwierig, aber es garantiert, dass das Kuckucksnest nicht zum Käfig voller Narren verkommt.

Bewundernswert, wie sorgfältig sich die Darsteller ihrer Figuren annehmen. Jan Brunhoeber, Alexander Ourth, Peter Singer, Paul Steinbach, Manfred-Paul Hänig, Karl-Frank Müller, Hans-Peter Leu: Jeder eine kleine, feine, manchmal groteske, aber nie denunzierende Studie des Verrückt-Seins. Liebevoll unterstrichen von Carola Vollaths Kostümen. Manchmal zum Schreien komisch, etwa beim Basketball-Spiel, dann wieder zu Tränen rührend wie bei der virtuellen Sportübertragung im Fernsehen, bei der der Fernseher fehlt. Da ist nichts routinemäßig runtergespielt, auch nicht bei den Nebenrollen (Angelika Schmid, Antje Härle, Tim Olrik Stöneberg, Klaus-Michael Nix) und der Statisterie.

Die Aufführung hat einen plausiblen, stimmungsvollen Rhythmus. Die Szenen sind durch musikalische Einsprengsel getrennt, die Regisseur Lorenzen als exzellenten Kenner der Musikszene jener Zeit ausweisen, in der das "Kuckucksnest" entstand. Ob Bekanntes von Canned Heat bis Cream oder rare Preziosen wie die "America"-Version von "The Nice": Nichts klingt zufällig, alles hat auch dramaturgisch einen Sinn. Bis hin zur Schluss-Apotheose zu Procol Harums "Salty Dog", dem monumentalen Seemanns-Lied von der Sehnsucht nach einem friedfertigen Hafen.

Wenigstens einer bricht am Ende aus, weil er nach McMurphys Tod dessen Boschaft verstanden hat: Man muss das scheinbar Aussichtslose doch zumindest versuchen.

Der Beifall des Publikums wirkt anfangs fast eingeschüchtert von der Wucht des Schlusses und gewinnt dann immer mehr an Intensität. Ovationen für die Bravourleistung von Michael Ophelders.

Vorstellungen: 15., 19., 20., 22., 30. Mai; 9. Juli.

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