Von der Schönheit der Tragödie

Luxemburg · Es ist einer dieser äußerst seltenen Momente, wenn der letzte Ton verklingt und über 1300 Zuschauer mit glänzenden Augen verharren, bevor ein tosender Beifallssturm losbricht: Mariss Jansons zeigt mit Tschaikowskis Oper "Pique-Dame" in Luxemburg, welche Magie der Musik innewohnen kann.

 Umjubelte Aufführung in der Philharmonie: Sopranistin Tatiana Serjans meistert auch die schwierigen Partien in Tschaikowskis Oper „Pique-Dame“. Foto: Sébastien Grébille

Umjubelte Aufführung in der Philharmonie: Sopranistin Tatiana Serjans meistert auch die schwierigen Partien in Tschaikowskis Oper „Pique-Dame“. Foto: Sébastien Grébille

Luxemburg. Als die Zuschauer am Donnerstagabend die Luxemburger Philharmonie verlassen, sind sie sich sicher, einen Höhepunkt der Saison erlebt zu haben. "Weltklasse", war der einhellige Tenor. Der lettische Star-Dirigent Mariss Jansons und sein Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, dessen Chor und Kinderchor sowie ein Dutzend der besten russisch-sprachigen Gesangssolisten der Gegenwart hatten zuvor Pjotr Iljitsch Tschaikowskis (1840-1893) Oper "Pique-Dame" aufgeführt. Das Werk gilt als die Quintessenz seines Schaffens, das er 1890 binnen sechs Wochen in einem wahren Schaffensrausch komponierte. Ein Drama um die unerfüllbare Liebe zwischen dem bürgerlichen Offizier Hermann und der adeligen Lisa, die an überbordender Leidenschaft, Wahnsinn und Spielsucht scheitert.
Tschaikowskis offensichtliche Identifikation mit dem Außenseiter Hermann, der sich gegen die gesellschaftlichen Konventionen auflehnt, hat sicher mit der nicht ausgelebten Homosexualität des Komponisten zu tun. Von diesem Zwiespalt erzählt das Werk.
Maestro Jansons, der in St. Petersburg - dem Ort der Handlung - aufgewachsen ist, dirigiert die Tragödie sehr natürlich und mit leichter Hand, er lässt sein Orchester glänzen und strahlen. Dabei vermeidet seine Interpretation, auch durch ihren schlichten, konzertanten Charakter, jedes übertriebene Gefühl. Das viel bemühte Klischee der "russischen Seele" mit ihrem Hang zu ex tremen emotionalen Gegensätzen wird hier jedoch aufs Wundervollste erfüllt, die Partitur schwelgt geradezu darin.
Gelungenes Gesamtkunstwerk


Die grandiosen Chöre, das große Orchester, die Vielzahl an außergewöhnlich guten Solisten, all das ergibt ein fantastisches Gesamtkunstwerk, das jeden Aufwand lohnt. Misha Didyk als Hermann ist ein kraftvoller Tenor mit glockenhellen Höhen, Tatiana Serjans herrlicher Koloratursopran nimmt mit Leichtigkeit alle Schwierigkeiten der Partie der Lisa. Herausragend ist allerdings Aleksei Markov als Fürst Jeletski. Sein strahlender Bariton strotzt vor Kraft und ist dennoch in jeder Finesse sehr sensibel geführt.
"Pique-Dame", ein dreistündiger musikalischer Marathon, verlangt dem bereitwilligen Ensemble alles ab. Tschaikowski selbst notierte in seinem Tagebuch: "Schrecklich geweint, als Hermann seinen Geist aufgab."
Als der letzte Ton dramatisch verklingt, löst sich die Spannung; minutenlanger, stehender Applaus und zahlreiche Bravo-Rufe belohnen die Künstler. DT

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