Wiedervereinigung ungültig

Trier · Allen, die sich in diesem Land besonders durch Politik und Medien regelmäßig unzumutbar belästigt fühlen, bietet das Satire-Magazin Titanic seit 35 Jahren ein wichtiges Ventil. Jetzt haben drei ehemalige Chefs des legendären Blatts im Trierer Theater besonders deftige Aktionen und Texte Revue passieren lassen.

Trier. Wie viele Amokläufe mag das Satiremagazin Titanic schon verhindert haben? Vielleicht dreihundert? So viele Zuschauer sind jedenfalls ins Trierer Theater gekommen, um die Ex-Chefredakture Oliver Maria Schmitt, Martin Sonneborn und Thomas Gsella als Titanic-Boygroup zu erleben.
Wer vor allem mit konservativen Grundwerten und medialen Lichtgestalten wenig anfangen kann, findet in der Titanic seit 1979 seelenverwandte Lästerer, die mit spitzen Pointen Erleichterung verschaffen. Dreiste Beleidigungen dürfen da erwartet werden - auch gegen die eigene Person. In Trier liefert das Titanic-Trio jedenfalls zuverlässig: So zeigt Schmitt sich erst mal erfreut, dass im "letzten Vorposten der Unzivilisation vor Wasserbillig" überhaupt so viele Leute gekommen sind: "Wenn die Leute hier was von Titanic lesen, denken sie, der Film kommt."
Um die "ältesten Witze der Welt" zu präsentieren, wird ein passend prähistorischer Laptop angeworfen, der schon eine einführende Animation eher abgestottert als abgespielt hat. Auf dem grotesk unaufgeräumten Desktop werden zunächst die krassesten Titelbilder aus 35 Jahren Titanic zusammengesucht. So bekommt das Publikum noch einmal Helmut Kohl mit weit aufgerissenen Augen zu sehen, samt Überschrift: "Wiedervereinigung ungültig - Kohl war gedopt!"
38 Hefte sind seit 1979 verboten worden, viele Dargestellte haben erfolgreich Schmerzensgelder eingeklagt. Dass Kurt Beck 2006 unter der Schlagzeile: "Problembär außer Rand und Band: Knallt die Bestie ab!" dargestellt wurde, kostete satte 10 000 Euro - immer noch Peanuts gegen die 300 Millionen Euro, auf die der Deutsche Fußballbund Martin Sonneborn für eine Aktion vor der WM 2006 fast verklagen wollte.
Der 49-Jährige, der spätestens durch seine Mitarbeit in der ZDF-Satire "heute show" republikweit bekannt ist, führte noch einen Clip aus seiner ZDF-neo-Sendung "Sonneborn rettet die Welt" vor, der daran erinnerte, dass der oft pennälerhafte Humor hehre aufklärerische Ideale transportieren kann: Zu sehen ist noch einmal, wie ahnungslose Mitarbeiter der Deutschen Bank ein Interview komplett stellen. In der Annahme, bei Sonneborn handele es sich um einen kooperativen Nachrichtenmann, haben sie ihm im Vorfeld das komplette Gespräch zugeschickt - samt den Fragen, die der Reporter zu stellen hat. Sonneborn deckt den Skandal auf, dass so etwas in diesem Land vielleicht nicht die Regel ist, aber auch nicht ungewöhnlich zu sein scheint.
Nicht nur dafür gibt\'s vom Publikum kräftigen Applaus. Die "Abschiedstournee" der Chefredakteure, von der man annehmen darf, dass sie keine solche ist, wird wohl wieder nach Trier führen.

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