Wo Zerstörung zum Genuss wird

Luxemburg · Zerstörungswut scheint zur menschlichen Natur zu gehören, was allein die endlose Zahl der Kriege belegt. In der Kunst ist sie allerdings häufig die Bedingung für einen Neuanfang. Eine eindrucksvolle Schau in Luxemburg zeigt Beispiele und Folgen von Zerstörung seit 1950 - und wie die Kunst damit umgeht.

 Das Zerschlagen einer Vase ist zur Kunstikone geworden: „Dropping a Han Dynasty Urn“ des Chinesen Ai Weiwei von 1995 ist zurzeit im Museum Mudam in Luxemburg zu sehen. TV-Foto: Eva-Maria Reuther

Das Zerschlagen einer Vase ist zur Kunstikone geworden: „Dropping a Han Dynasty Urn“ des Chinesen Ai Weiwei von 1995 ist zurzeit im Museum Mudam in Luxemburg zu sehen. TV-Foto: Eva-Maria Reuther

Luxemburg. Noch nie gab es nach Ansicht von Fachleuten so viele Kriege gleichzeitig in der Welt wie heutzutage. Grund genug, darüber nachzudenken, ob Aggression und Zerstörungswut zur Natur des Menschen gehören, wovon Psychoanalytiker wie Sigmund Freud oder der Philosoph Immanuel Kant ausgingen.
Prominente Werke


In seiner aktuellen Ausstellung "Damage Control - Art and Destruction" widmet sich jetzt auch das Mudam der Zerstörung und ihren Folgen. Die multimediale Schau, die man am besten mehrfach besucht, um sie zu verkraften, versammelt ein Großaufgebot internationaler Künstler und prominenter Werke.
Ausgerichtet wurde die Ausstellung in Zusammenarbeit mit dem Hirshorn Museum und Sculpture Garden in Washington. Gezeigt werden Arbeiten, die seit 1950 entstanden sind. In einer Zeit also, die gleichermaßen durch Kriege, die Entwicklung ungeahnter atomarer Zerstörungspotenziale sowie durch gesellschaftliche Auseinandersetzungen bestimmt war. All das dokumentiert die umfangreiche Schau.
Konstruktive Kraft


Die Jahre seit 1950 sind zudem eine Epoche entscheidender Umbrüche im Kunstverständnis. Schon der erkenntnisreiche Kant gestand der Zerstörung als Grundbedingung für Erneuerung durchaus eine konstruktive Kraft zu. In der Bildenden Kunst ist der Bildersturm seit jeher ein bewährtes Mittel zur Innovation. Quasi zum Grundinventar der Schau gehört in diesem Sinn eine der symbolträchtigsten wie umstrittensten Wegmarken auf dem bildkünstlerischen Weg von Zerstörung und Erneuerung: jene berühmte Zeichnung Willem de Koonings, die Robert Rauschenberg ausradierte ("Rauschenberg Erased De Kooning Drawing" 1953).
Zerstörung hält die Welt in Gang, das macht die Schau glauben. Bei aller Abscheu vor dem Unheil: Selten beschert Zerstörung so viel visuellen Genuss wie in der Mudam-Schau. Das liegt vor allem an der Qualität der Arbeiten. Künstlerisch überformt wird der Schrecken zum ästhetischen, bisweilen lustvollen Ereignis für die Augen. So wie in den feinen, quasi patinierten Arbeiten "Hiroshima" und "Bikini" von Vija Celmins oder den geradezu poetischen Schwarz-Weiß-Fotos verunglückter Autos des Nidwalder Polizisten Arnold Odermatt.
Zuweilen ist der Prozess der Zerstörung selbst von höchster Ästhetik, wie die Bilder nuklearer Detonationen oder die explosive Zerstörungswut eines Jean Tinguely belegen. Pipilotti Rists anmutige Zerstörungschoreographie, bei der Autofenster eingeschlagen werden, machen dagegen aus einem brutalen Akt eine absurde Tanzszene.
Ein Teil der Arbeiten hat längst den Rang von Ikonen und ist damit der Realität so weit entrückt, dass sie eher staunen machen als schmerzen. Dazu gehören Andy Warhols "Elektrischer Stuhl", Thomas Ruffs Katastrophenfotos und die symbolisch hoch aufgeladene Zerschlagung einer Vase der Han Dynastie durch Ai Weiwei ("Dropping a Han Dynasty Urn").
Nicht immer erblüht sinnvolles Leben aus den Ruinen. Die Eingriffe von Jake und Dinos Chapman in Francisco de Goyas großartigen Zyklus "Die Schrecken des Krieges" darf man getrost für Vandalismus halten. Auch wenn hier dem Titel nach Faustrecht herrscht "Injury to Insult to Injury"(Unrecht mit Unrecht vergelten ), ist die Zerstörung der von der Originalplatte gedruckten wertvollen Radierungen wohl eher eine Selbstinszenierung der als Enfants terribles der britischen Kunstszene bestens ausgewiesenen Brüder. Dass Zerstörung als Bildschöpfung etwas extrem Planmäßiges ist, zeigt Jeff Walls Inszenierung des Chaos\' "The Destroyed Room". er
Bis 12.Oktober zu sehen; Öffnungszeiten: Mittwoch bis Freitag 11-20 Uhr, Samstag bis Montag 11-18 Uhr, Telefon: 00352/4537851, <%LINK auto="true" href="http://www.mudam.lu" class="more" text="www.mudam.lu"%>

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