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149"Jeder Gedanke, den du jetzt hast, ist mir vertraut. Bilde dir nicht ein, du könntest etwas denken, was ich nicht erahne. So wie du war ich in meiner Jugend, verträumt und großmütig. Ich war unschuldig wie ein Kalb, das man von der Mutter fortgetrieben hat.

Ich glaubte nicht an das Böse unter der Sonne, obwohl ich es immer wieder erleben musste. Ich war wie du." Er hielt kurz inne."Und doch bin ich der Amir geworden, der vor dir sitzt. Du weißt, wer ich bin und was ich täglich befehle. Martí, meine Liebe zu dir ist unendlich. Ich werde dich zu meinem Nachfolger machen. Bald wirst du über all das befehlen, über das ein Amir herrscht. Du wirst es einüben. Du musst Männer bestrafen, die du gut kennst. Du musst so hart werden wie ich.""Das wird mir nicht gelingen.""O doch, Martí. Du denkst, du könntest niemals gebieten, Augen auszustechen, Hände abzuschlagen, Männer und Frauen zu töten. Doch bald wird es so weit sein. Denn uns unterscheidet nichts. Ich bin Urruacas Sohn, du ihr Enkel. Noch schreckst du davor zurück. Du musst dich erst daran gewöhnen, aber ich versichere dir, die Macht über so viel Land, Befestigungen und Söldner zu haben, ist so süß wie die Liebe. Schnell wirst du sie nicht mehr missen wollen. Es wird Frauen geben, die dich allein dafür lieben, dass du die Macht über Leben und Tod innehast. Du wirst ihre Liebe genießen, ohne dir die geringste Mühe geben zu müssen. Du wirst nicht eine, sondern unzählige besitzen. Du wirst ihre Namen nicht mehr auseinander halten können und dich auf die Regierung deiner Provinz konzentrieren.""Ich muss darüber nachdenken. Ich muss -""Du wirst erkennen, dass du mit dem Gold, das Al Ustadh jeden Tag neu schafft, alles auf Erden kaufen kannst, Söldner, Waffen, Sklaven. Neue Freunde, Friedensverträge mit den Christen, alles, was dir in den Sinn kommt." Der Amir keuchte und hustete. "Du weißt, sie haben mich verschnitten, um mich gefügig zu machen. Ich muss ihnen noch heute dankbar sein, dass es ein guter Arzt vollzogen hat und nicht irgendein Barbier auf dem Markt, bei dem die Jungen noch auf dem Tisch sterben. Meine Herren glaubten, sie hätten einen duldsamen demütigen Sklaven in mir. Ich war ein dünner, zarter Junge, ganz mager, nur ein Strich, ich war ihnen zu Willen, ich tat alles, was von mir verlangt wurde. Ich rasierte mich unter den Achseln, wie sie es wollten. Du glaubst nicht, was sie alles mit mir gemacht haben.""Al Quti übertreibt nicht", mischte sich jetzt Abu Bakr ein. "Ich war dabei, als sein Herr ihn mit gierigen Fingern betastete."Martí war zu aufgewühlt, um alles zu begreifen, was gesagt und erklärt worden war. Aber so verwirrt er auch war, niemals würde er den Befehl des Amirs ausführen. Es war unmöglich, Hamid zu töten. So unmöglich, wie hinterher über die weinende Zubh herzufallen. Er hatte Al Quti bewundert, ebenso, wie er ihn immer gefürchtet hatte.Noch einmal sah Martí hinüber zu ihm. Der Amir war gewaltbesessen und mordlustig, ein Mann auf der Höhe seines Ruhmes, der das Richtige im richtigen Moment getan hatte. Ja, er war der Bruder seines Vaters, der ebenfalls zur Gewalt neigte und in kriegerischen Zeiten geraubt und niedergebrannt hatte, ohne zu zögern, immer eingedenk dessen, dass auch er geraubt und geschändet worden war. Da war Verwandtschaft, aber keine Gemeinsamkeit zwischen ihnen."Ich weiß, dass du dich geehrt fühlst, Martí Al Quti Al Bicalaui", sagte Al Quti und lächelte liebenswürdig. "Antworte nicht jetzt, es ist zu früh. Du musst mir nicht einmal dankbar sein. Ich liebe dich allein dafür, dass es dich gibt, und preise den Tag, an dem Allah dich auf die Straße nach Sagunto geführt hat, auf der du meinen Männern begegnet bist. Du, mein Nachfolger, mein Sohn."Peire wusste nicht, ob er stolz auf sein Werk sein sollte. Die Kapelle war fertig. Die Vorderfront mit der wuchtigen Tür bestand aus sorgfältig bearbeiteten Sandsteinquadern, an denen noch der Schweiß von Peires Händen haftete. Der Bau besaß sogar ein Dach aus Ziegeln, die Peire mit eigener Kraft nach oben geschleppt hatte, nicht etwa in einem Karren, sondern auf dem Rücken als zusammengebundene Bündel. Peire empfand Freude und Zärtlichkeit. So bescheiden der Bau auch für einen Außenstehenden sein mochte, so großartig war er für seinen Erbauer, der genau wusste, wie viel Mühe in ihm steckte. Fortsetzung folgt.Das Buch "Der Sänger und die Ketzerin" ist in allen TV-Pressecentern für 9.90 Euro erhältlich.

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