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37In der sich anschließenden Ziehung, die der allgegenwärtige Rotzlöffel im Stil einer Kirmestombola moderierte, wurde ich Tobi zugelost.Ich danke dem Himmel dafür, dass sich das nachfolgende entehrende Schauspiel in einem schlecht beleuchteten, von außen nicht einsehbaren Partykeller abspielte.

Die Aktion hätte auf alle Beteiligten ein bizarres Licht geworfen. Am meisten auf die Erziehungsberechtigte, die es zu verantworten hatte, dass siebzehnjährige Jungen pärchenweise auf "Girls just wanna have fun" tanzten. Ich fragte mich, was Onkel Pete davon gehalten hätte. Wahrscheinlich hätte er sich, peinlich berührt von den absonderlichen Bräuchen der Erdbewohner, den unendlichen Weiten des Weltraums zugewandt.Nachdem Tobi und ich auch Lionel Richies "Hello" hinter uns gebracht hatten, wollten wir uns nur noch betrinken. Es gab aber nur sauren Sprudel und Apfelsinensaft von Onkel Dittmeyer. Dieselbe Frau, die Schutzbefohlene traumatischen Situationen aussetzte, hielt es für "unverantwortlich", an "Minderjährige" Bier auszuschenken. Ich täuschte Magenprobleme vor und verabschiedete mich Hals über Kopf. Als ich mich zur Haustür wandte, hörte ich eine helle Mädchenstimme: "Ich muss leider auch gehen." Ich blickte mich um. Ihr Lächeln traf mich wie ein Blitzschlag. Aus einer Eingebung heraus sagte ich: "Wenn du willst, kann ich dich noch ein Stück begleiten." Sie nickte kurz, und da wusste ich: Die Fete geht weiter.1985: Boris BeckerAm Tag nach Boris Beckers erstem Wimbledon-Sieg traten Onkel Ewald und mein Vater einem Tennisklub bei. Die beiden hatten sich beim Betrachten des Finales in Hochform getrunken und waren nach dessen erbaulichem Ende darin übereingekommen, dass es doch nicht so schwierig sein könne, einen weithin sichtbaren Ball mit einem hinreichend großen Schläger über ein niedrig gespanntes Netz zu befördern.Die Motive, die hinter ihrer plötzlichen Begeisterung für den Weißen Sport standen, hätten dabei nicht unterschiedlicher sein können. Während mein Vater hoffte, auf diesem Weg sein im Lauf der Jahre angefressenes Übergewicht von zwanzig Kilo runterretournieren zu können, dachte Onkel Ewald bereits einen Ausfallschritt weiter. Er wollte seine Kalorien nicht auf dem Court, sondern auf weicherem Untergrund verbrannt sehen. Und befriedigender als die im Glaskasten des Klubhauses publik gemachten Matchgewinne erschienen ihm jene symbolischen Siege, die in keiner Statistik auftauchten, weil sie erst lange nach Spielende- im Mixed und ohne Zuschauerbeteiligung- unter Dach und Fach gebracht wurden.Beide verband die Überzeugung, dass das Vereins- dem Familienleben vorzuziehen war. Dieses hatte nach dem tödlichen Geburtstag meiner Oma guerillahafte Züge angenommen. Mit meiner Tante als Speerspitze des Terrors. Dass ihr hochheiliger Sohn vor der eigenen Sippschaft bloßgestellt worden war, musste gesühnt werden. Die Methoden, derer sie sich dabei bediente, hätten schwerlich die Zustimmung ihres verehrten Herrn Pfarrers gefunden. Sie, die in Fragen kirchlichen Brauchtums keine Ausnahmen duldete (was so weit ging, dass sie meinem Vetter an Karfreitag eine wüste Szene machte, weil er ein Wurstbrot aß), verwarf jetzt, da es die eigene Befindlichkeit erforderte, alle christlichen Grundsätze. Als Erstes landete die Bergpredigt auf ihrem persönlichen Index der verbotenen Schriften. Die Nächstenliebe hörte auf, sobald der zu liebende Mensch mit ihr verwandt oder verschwägert war.Auch entschied sie sich für eine Lightversion der Zehn Gebote. Es wäre von ihr zu viel verlangt gewesen, nicht falsch Zeugnis abzulegen über das "Weibsstück, das eine arme alte Frau auf dem Gewissen hat." (Dass die "arme alte Frau", derweil sie noch lebte, wahlweise als "Drache" oder "Alptraum von Schwiegermutter" tituliert wurde, tat dabei nichts zur Sache.) In markerschütternden Erzählungen, für deren schnelle Verbreitung meine Tante bei öffentlichen Zusammenkünften wie Gottesdiensten und Wohltätigkeitsbasaren Sorge trug, mutierte meine Mutter zum Monster. Sie war der Antichrist des Hunsrücks, der eine friedliebende Familie heimgesucht und entzweit hatte.Die Schauergeschichten zeigten Wirkung. Die Zahl der Personen, die meine Mutter freundlich grüßten, fiel rapide. Fortsetzung folgt. Das Buch "Mein liebestoller Onkel, mein kleinkrimineller Vetter und der Rest der Bagage" ist in allen TV-Pressecentern für 19,90 Euro erhältlich.

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