08/15-Programm? Mit mir nicht!

Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar unterhält im Fernsehen ein Millionen-Publikum. Bei Lesungen mag er es gerne etwas kleiner. Im Interview mit unserer Redakteurin Stefanie Glandien verrät er, was das Schreiben von Büchern und die Erziehung von Kindern gemeinsam haben.

Was ist schwieriger, ein Buch zu beginnen oder es zu beenden?
Beides. Der Beginn und auch das Ende haben ihren ganz besonderen Aspekt. Ein Buch zu beginnen ist ein sehr langer Prozess, bei dem ein Grundgedanke wächst. Ich gehe dann gedankenschwanger. Ich setze mich hin und strukturiere, so wie ein Architekt, der sich den groben Umriss eines Hauses überlegt. Das Beenden ist ein bisschen wie die Erziehung eines Kindes. Irgendwann entlassen sie dieses Kind. Bis dahin gibt es eine intensive Phase, wo sie an einem Text arbeiten, ihn umformulieren, bis man sagt, so - das ist es. Das ist psychologisch sehr spannend, denn sie müssen an irgendeiner Stelle loslassen. Danach geht das Buch seinen Weg. Ich freue mich, wenn viele mein Buch inhaltlich lesen. Mein Verleger freut sich über Verkaufszahlen. Das finde ich total blöd. Wir haben heute in vielen Bereichen Bücher, die gekauft, aber nicht gelesen werden. Zum Beispiel das von Thilo Sarrazin. Sein Buch wurde oft gekauft, aber nie oder kaum gelesen.

Haben Sie auch schon mal eine Buchidee verworfen?
Manchmal komme ich zu dem Urteil, aus dem Thema wird nichts. Wenn ich wollte, könnte ich mehr Bücher schreiben, als ich es jetzt tue. Ich werde von vielen Verlagen geradezu umlagert. Was man unterschätzt: Man muss auch wieder volltanken.

Wie viel Arbeit ist Schreiben?
Schreiben ist tatsächlich Arbeit. Das ist wie ein Handwerk. Ich vergleiche es immer mit dem Bau eines Hauses. Sie haben den Rohbau, dann machen sie den Innenausbau und müssen die Fassaden bemalen. Viele Laien denken, dass der Autor irgendwo sitzt, von der Muse geküsst wird und ein Buch von A bis Z schreibt. Dass ihm die Gedanken nur so zufließen und von seiner Feder direkt in die Druckmaschine gehen. Bei mir ist das nicht so. Ich schreibe, dann muss der Text gären, dann muss man nacharbeiten, schleifen. Diese Arbeit macht mir unglaublich viel Spaß.

Sie machen viele Fernsehsendungen. Wie viel Zeit haben Sie zum Schreiben, wie viel Zeit nehmen ihre anderen Projekte ein?
Alle zusammen viel zu viel. Das hat damit zu tun, dass ich für Fernsehsendungen und für meine Bücher viel recherchieren muss. Ich bin ein Pedant vor dem Herrn. Ich habe keinen Ghostwriter, meine Bücher recherchiere ich alle selbst - und das nicht nur bei Google oder Wikipedia. Das ist witzigerweise sogar eigentlich das Schönste. Weil ich dadurch selber in einem Reflexionsprozess weiterkomme. Was viele nicht wissen: Bücher verändern nicht nur die Leser, sondern auch den Autor. Nachdem ich ein Buch geschrieben habe, bin ich selber auch ein anderer geworden.

Bei Ihren Büchern sind Sie bestimmt immer ein bisschen schlauer geworden.
Wenn ich zum Beispiel das Buch nehme, das ich mit Klaus Töpfer gemacht habe, wo es um unsere Zukunft geht, wo und wie wir das Betriebssystem unserer Gesellschaft verändern müssen, so dass wir langfristig wirklich nachhaltig im besten Sinne des Wortes werden. Da fängt man an, darüber nachzudenken, was man anders machen kann. Warum funktioniert es nicht, nur an den gesunden Menschenverstand zu appellieren? Die Entscheidung, ein Buch zu schreiben, ist immer auch eine Entscheidung, sich sehr bewusst mit einem Inhalt auseinanderzusetzen. Darin besteht der eigentliche Charme. Gerade in meiner Zunft, im Fernsehen, hat man den Eindruck, jeder Tünnes muss ein Buch schreiben.

Lesungen sind so nötig wie das Salz in der Suppe oder so lästig wie die Fliege auf dem Kuchen?
Lesungen sind für mich etwas sehr Schönes. Was die Zahl der Besucher betrifft, setze ich nach oben ein Limit. Ich bin nicht derjenige, der Lesungen in Arenen mit 5000 bis 10000 Leuten macht. Das lehne ich ab.

Warum?
Weil für mich in diesem Rahmen die Seele eines Buchs zerstört wird. Eine Lesung ist etwas Intimes, sollte schön und direkt sein. Das schaffe ich nicht, wenn ich das zum Mega-Event mache. Wenn ich das will, kann ich eine Fernsehsendung machen, dann erreiche ich direkt ein Millionen- Publikum. Ich bin ein Freund von kleineren Lesungen. Ich möchte bei einer Lesung noch die Augenfarbe des Gegenübers erkennen können. Lesung ist etwas Spannendes, Intimes, Direktes. Viele kommen allerdings mit der Erwartungshaltung: Jetzt kommt der Yogeshwar aus dem Fernsehen, da gibt es bestimmt eine Show. Eine Lesung ist etwas ganz Eigenes. Das halte ich mir selber auch hoch. Ich mache Lesungen alleine. Ich brauche keinen Schlaukopf neben mir, der mich befragt. Ich will den direkten Kontakt zum Publikum, der ist mir wichtig.

Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Kritiker über Ihr Buch meckern?
Ich bin in der glücklichen Lage, dass das bei mir extrem selten vorkommt. Eine kritische Auseinandersetzung finde ich richtig, denn darum geht es. Es gibt welche, die tatsächlich einen Punkt aufbringen, der klug und intelligent ist. Das ist toll. Es gibt aber auch selten welche, die hochnäsig sagen, sie wissen alles besser. Besonders schön ist dann, wenn ich belegen kann, wie gut ich recherchiere.

Wissen Sie schon, aus welchem Buch Sie beim Eifel-Literatur-Festival lesen werden?
Nein. Ich habe nicht so ein 08/15-Programm. Ich gehöre zu denen, die die Einzigartigkeit einer Veranstaltung erleben möchten. Sonst wird es mir auch langweilig. Das gilt auch für Fernsehsendungen. Wenn die mir langweilig werden, gebe ich die ab. Ich bin ein ganz großer Loslasser. Das ist wichtig. Das führt Sie zurück in die Unsicherheit und Sie können was Neues machen.

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