"Dann könnte ich ins Lenkrad beißen"

Bitburg/Wittlich/Mainz · Einsatzkräfte verzweifeln, wenn sie vor blockierten Rettungsgassen stehen. Dabei gibt es klare Regeln.

Bitburg/Wittlich/Mainz Kommt es zu einem Unfall auf der Autobahn 60 bei Bitburg, steht Willi Schlöder oft der Schweiß auf der Stirn. Der stellvertretende Kreisfeuerwehrinspekteur im Eifelkreis Bitburg-Prüm saß schon einige Male am Steuer, wenn Einsatzkräfte an der Unfallstelle helfen wollten, der breite Feuerwehrwagen sich aber erst nach langer Wartezeit bis zu den Verletzten steuern ließ. Der Grund: Manche Autofahrer bildeten die Rettungsgasse nicht, blockierten den Weg, ließen auch mal eine Tür offen stehen, was wertvolle Minuten kostete. "Dann könnte ich ins Lenkrad beißen", sagt Schlöder. "Besonders, wenn man weiß, dass vorne ein Mensch im Auto eingeklemmt ist und man noch gar nicht sagen kann, wie schlimm die Verletzungen sind."
Jörg Teusch, Feuerwehrinspekteur im Kreis Bernkastel-Wittlich kann von abenteuerlichen Fahrten erzählen. "Kollegen mussten schon mal von der Rettungsgasse auf den Standstreifen wechseln und von dort wieder zurück in die Rettungsgasse, weil die Strecke mal hier, mal dort blockiert war." Einem LKW, der zu dicht in der Zufahrt zur Unfallstelle stand, fuhren die Einsatzkräfte schon mal den Außenspiegel ab. Teusch ärgert sich über die verstopften Gassen, sagt aber auch, dass viele Autofahrer nicht wissen, wie die richtig zu bilden sind. Das belegt auch eine Umfrage, die der ADAC 2016 in seinem Motorsportmagazin aufgriff. 61 Prozent der Befragten gaben die falsche Antwort auf die Frage, wie eine Rettungsgasse auf einer dreispurigen Autobahn zu bilden sei. Doch wie klappt es nun richtig? Ein Überblick.
Was ist die Rettungsgasse?

Die Rettungsgasse ist eine Zufahrt zur Unfallstelle, die es Einsatzkräften erleichtern soll, so schnell wie möglich zur Unfallstelle zu kommen und Hilfe zu leisten. "Jede Verzögerung kostet uns wertvolle Minuten oder Sekunden", sagt Kreisfeuerwehrinspekteur Jörg Teusch.
Wann muss ich die Rettungsgasse bilden?

Autofahrer sind gesetzlich verpflichtet, die Rettungsgasse auf Autobahnen und außerörtlichen Straßen mit mindestens zwei Fahrstreifen für eine Richtung zu bilden, wenn sich der Verkehr nur noch zähflüssig bewegt oder ganz zum Stehen kommt, sagt Sven Rademacher vom Deutschen Verkehrssicherheitsrat. Innerhalb von Ortschaften gelte die Regel, Einsatzfahrzeugen mit blauem Blinklicht und Martinshorn sofort freie Bahn zu schaffen,sagt Karl-Peter Jochem von der Polizei Trier.
Wie bilde ich die Rettungsgasse richtig?

Die Rettungsgasse ist immer zwischen dem äußersten linken Fahrstreifen und dem unmittelbar rechts daneben liegenden Fahrstreifen zu bilden (siehe Grafik). So steht es im Gesetz. Dabei ist es völlig egal, ob die Straße zwei oder mehr Fahrspuren in die gleiche Richtung hat, sagt Rademacher. "Wer auf der ganz linken Spur fährt, hält sich möglichst links. Alle Fahrer auf den anderen Spuren halten sich möglichst weit rechts." Für Tunnel gelten die gleichen Regeln. Rademacher schlägt vor, dass Autofahrer hier auch Nothaltebuchten nutzen könnten, um Einsatzkräften Platz zu schaffen.
Worauf muss ich beim Bilden einer Rettungsgasse achten?

Der häufigste Fehler ist zu geringer Abstand zu anderen Autos und Lastwagen, weiß Rademacher. Wer Stoßstange an Stoßstange fahre, habe keine Freiheit mehr, beim Lenken stark nach links oder rechts auszuscheren. Sein Tipp: "Die Fahrer sollten immer so stoppen, dass sie die Hinterräder ihres Vordermannes noch sehen können." Wer im Stau genervt die Spur wechsle, blockiere die Rettungsgasse ebenfalls schnell. Rademacher rät davon ab. "Selbst wenn man das Gefühl hat, dass der Spurwechsel einen im Stau schneller voranbringt, ist das meistens gar nicht der Fall", sagt der Verkehrsexperte. Türen sollten dazu geschlossen bleiben und nicht in die Rettungsgasse ragen.

Wann darf sich die Gasse auflösen?

Jörg Teusch sagt, die Rettungsgasse soll bestehen bleiben, bis die Verkehrsteilnehmer den Stau hinter sich gelassen haben. Er stellt klar: "Wenn das erste Rettungsfahrzeug durchgefahren ist, folgt meist noch ein zweites, drittes und viertes." Sich an die Einsatzkräfte anzuhängen und ihnen in der Rettungsgasse hinterherzufahren, um schneller durch den Stau zu kommen, ist übrigens verboten, sagt Sven Rademacher.
Warum können die Rettungskräfte nicht einfach über den Standstreifen zur Unfallstelle fahren?
Nach dem Straßengesetz ist das nicht vorgesehen und auch nicht sinnvoll. Rademacher: "An manchen Autobahnen ist die Standspur gar nicht richtig ausgebaut." Es gebe auch immer wieder Autofahrer, die unerlaubt auf den Standstreifen auswichen, wenn die nächste Ausfahrt nur wenige Hundert Meter entfernt sei. "Das ist gefährlich, wenn hinter ihnen ein Rettungsfahrzeug angedüst kommt. Dessen Weg wäre wieder verstopft", sagt Rademacher.
Worauf habe ich innerorts zu achten, wenn ich weniger Platz habe?
Auf Straßen mit zwei oder mehr Fahrstreifen in die gleiche Richtung gelten die Regeln von der Autobahn. Wer auf der linken Spur fährt, hält sich nach links - alle anderen nach rechts. Gibt es nur einen Fahrstreifen, rät Rademacher, in engen Lagen auf den Bürgersteig auszuweichen oder sich trotz roter Ampel leicht in eine Kreuzung hineinzubewegen. Wichtig sei, dabei auf den Gegenverkehr und Fußgänger zu achten. "Der Verkehrsteilnehmer darf sich und andere nicht gefährden."
Was ist, wenn ich dem Rettungsdienst Platz mache, über die rote Ampel fahre und geblitzt werde?
Laut Anwältin Daniela Mielchen müssen Autofahrer dann eher nicht mit einem Bußgeld rechnen. Der in Wittlich aufgewachsene Notarzt Peter Sefrin rät: "Empfehlenswert ist es, sich Datum,Uhrzeit und Art des Einsatzfahrzeugs zu notieren, für das man Platz gemacht hat." Komme dann ein Bußgeldbescheid ins Haus, könne der Autofahrer mit den Angaben seinen Einspruch begründen.
Wie hart fällt die Strafe aus, wenn ich die Rettungsgasse blockiere?
In Österreich kann es bis zu 2000 Euro kosten, in Deutschland ist das Blockieren eine Ordnungswidrigkeit und kostet 20 Euro. Wer die Zufahrt absichtlich blockiert, dem drohen laut Bundesverkehrsministerium strafrechtliche Folgen bis hin zu Freiheitsentzug wegen unterlassener Hilfeleistung oder Nötigung. Die Innenministerkonferenz will die Höhe der Strafen neu prüfen lassen. Die Minister bringen Fahrverbote oder höhere Geldstrafen ins Spiel.
Ein Video, wie die Rettungsgasse zu bilden ist, findet sich unter www.volksfreund.de/extra KommentarFragen & Antworten Wie die Rettungsgasse funktioniertMeinung

Fehlende Ahnung
Blockierte Rettungsgassen sind kein Vergnügen. Nicht für Unfallopfer, die so schnell wie möglich Erste Hilfe benötigen. Und nicht für die Einsatzkräfte, die mit ihren breiten Rettungswagen oft vor verstopften Wegen kapitulieren. Immer mehr Sanitäter beklagen sich dann noch, dass sie sich Beschimpfungen gefallen lassen müssen, wenn sie Verkehrsteilnehmer auf die Regeln hinweisen. Länder und Bund sind daher gefordert, Platz zu schaffen für höhere Strafen, die abschrecken. Von den 20 Euro, die jetzt zu zahlen sind, kann das kein Mensch behaupten. Zugleich müssen Politik und Einsatzkräfte beharrlich aufklären, wie eine Rettungsgasse zu bilden ist. Denn nicht immer steckt hinter dem Blockieren böse Absicht - oft ist es fehlende Ahnung. f.schlecht@volksfreund.de

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