"Region hinterzieht Steuern in Luxemburg" - Jürgen Kentenich im TV-Interview

Trier · Nach 14 Jahren an der Spitze des Finanzamtes Trier geht Jürgen Kentenich in den Ruhestand.

Jürgen Kentenich packt seine Sachen zusammen. Dabei auch ein Plakat aus der Süddeutschen Zeitung, das kurz vor der Wahl von der Zeitung veröffentlicht wurde. TV-Foto: Heribert Waschbüsch

Jürgen Kentenich packt seine Sachen zusammen. Dabei auch ein Plakat aus der Süddeutschen Zeitung, das kurz vor der Wahl von der Zeitung veröffentlicht wurde. TV-Foto: Heribert Waschbüsch

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Trier Der überzeugte Rheinländer und Kölner Jürgen Kentenich hat in seiner Heimatstadt Jura studiert und kam zum Referendariat nach Trier. In der Region Trier hat er seine zweite Heimat gefunden, vor allem auch aus beruflichen Gründen (siehe zur Person). Den TV-Redakteuren Sabine Schwadorf und Heribert Waschbüsch stellte er sich zum Abschluss seiner beruflichen Karriere noch einmal in einem Interview.

Machen Sie eigentlich Ihre Steuererklärung selbst? Und halten Sie das Steuersystem zu kompliziert für Otto-Normal-Verbraucher?
KENTENICH Ja, ich mache sie noch selbst. Zur zweiten Frage, als Jurist bin ich vorsichtig mit dem Begriff Gerechtigkeit. Aber ich finde, wir müssen selbstkritischer sein. Was wir den Bürgern und den Unternehmen zumuten, ist der helle Wahnsinn. Nun kann man natürlich auch sagen, Steuerrecht folgt dem Wirtschaftsrecht. Und das Wirtschaftsrecht in einer globalisierten Welt ist eben nicht einfach. Und die großen Unternehmen haben auch große Steuerabteilungen, die die Steuern herunterrechnen sollen. Dort haben wir sehr schwere, sehr kompetente Gegner, die Steuern vermeiden wollen. Da vermisse ich doch den Versuch der Politik, überhaupt etwas zu vereinfachen.

Gibt es denn ein Modell oder ein Land, das es besser macht?
KENTENICH Ist mir nicht bekannt. Professor Lange von der Uni Köln hat in Osteuropa nach der Wende beim Aufbau der Steuerverwaltung geholfen. Dort sei man mit einem ganz simplen Steuerrecht gestartet, und dann kamen die Lobbyisten …

… wie bei uns?
KENTENICH … und haben ihre Interessen eingebracht. Ein Beispiel sind Handwerkerleistungen: Auf der einen Seite ist das die Förderung des Handwerks und die Bekämpfung von Betrug, weil man ja nicht mehr bar zahlen kann. Das ist aber im Prinzip eine Stützung des Handwerks. Ich habe nichts gegen die Stützung des Handwerks, nur wenn man das dauernd macht, dann wird es immer komplizierter, denn ich unterstütze diesen und jenen. Oder nehmen Sie die Diskussion um die Erbschaftssteuer beim Vererben von Unternehmen. Die ist viel zu kompliziert. Es gibt verheerende Beispiele, über die man lachen könnte, wenn es nicht zum Weinen wäre. Vieles macht keinen Sinn, doch keiner geht dran.

Die Steuererklärung auf dem Bierdeckel ist also eine Illusion?
KENTENICH Eine völlige Illusion. Der Bürger ist aber auch selbst daran schuld. Denn ich könnte tausend Mal den Freibetrag erhöhen, trotzdem würden viele noch versuchen, etwas erhöhend abzusetzen.

Und viele versuchen auch illegal noch Steuern zu sparen. Wir haben in der Region eine hohe Zahl an Selbstanzeigen…
KENTENICH Ich sage es mal ganz salopp: Die Region hinterzieht in Luxemburg, die braucht die Schweiz nicht. Schon um die Jahrtausendwende haben hier die Banken ganz offensiv geworben, Vermögen nach Luxemburg zu transferieren, mit dem heimlichen Versprechen, hier erfährt keiner, was du für ein Vermögen hast. Das ist den Bürgern angeboten worden. Alleine, ohne die Hilfe von Bank oder Vermögensberater, ist das gar nicht möglich. Und das Spiel geht weiter. Momentan gibt es wohl wieder einen CD-Ankauf mit Daten von UBS-Kunden in Luxemburg. Dabei hat die UBS schon 300 Millionen Strafe gezahlt für eine erste CD aus der Schweiz.

Gibt es also nach Ihrer Ansicht noch eine Menge schwarzer Schafe?
KENTENICH Wir hatten viele Selbstanzeigen in der Region, wo jemand einen Schlussstrich ziehen wollte. Oder es waren geerbte Vermögen, wo Eltern Steuern hinterzogen haben, doch die Erben wollen das nicht mehr. Ich glaube, dass die ganz großen Vermögen schon nicht mehr auf Konten in Luxemburg liegen. Die sind in Stiftungen oder Firmenbeteiligungen überführt oder sind in andere Steueroasen transferiert. Steuern zu hinterziehen wird zwar durch die neuen Informationsaustausche immer schwieriger. Aber es gibt immer wieder Lücken.

Ein Beispiel?
KENTENICH Jetzt soll ein Gesetz kommen, das verpflichtet, die wirtschaftlichen Eigentümer einer Briefkastenfirma zu offenbaren. Problematisch daran ist, das gilt nur für Briefkastenfirmen außerhalb der EU, nicht innerhalb der Gemeinschaft. Man könnte das bösartig als Freibrief für Luxemburg bezeichnen. Bei vielen Versuchen, die die EU-Kommission macht, stehen die innereuropäischen Oasen auf der Bremse: Luxemburg, Irland, Malta, die Niederlande.

Luxemburg & Co. hemmen also die Steuergerechtigkeit in der EU?
KENTENICH Ich bin absoluter EU-Fan. Und in Sonntagsreden wird uns die Gemeinschaft immer als Wertegemeinschaft verkauft. Ich halte das nach den Kriegserfahrungen auch für vollkommen richtig. Nur im Steuerrecht ist es nicht so. Wir leben puren Nationalismus und schon gar nicht die Wertegemeinschaft. Das hat in meinen Augen nichts mit Recht zu tun, sondern mit Anstand. Wenn ich ein Land mit großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten sehe wie Griechenland, und dort gehen große Firmen weg, weil sie in England, Schweiz und Luxemburg besser agieren können, dann frage ich mich, wo ist die Wertegemeinschaft. Das hat mit förderndem Steuerwettbewerb nichts mehr zu tun.

Nun hat gerade die EU Luxemburg und Irland zu Nachzahlungen bei Apple und Amazon aufgefordert. Der richtige Weg?
KENTENICH In Irland bei Apple 13 Milliarden Euro und in Luxemburg bei Amazon 250 Millionen Euro. Gott sei Dank kommen die Sachen mal auf den Tisch. Die EU moniert unzulässige Beihilfen, weil die EU ja kein eigenes Steuerrecht propagieren kann und für jede steuerliche Maßnahme Einstimmigkeit braucht, die sie nie bekommt. Da ist dieses Ergebnis schon mal gut, aber nur der Anfang. Wenn die Länder nicht anfangen solidarisch zu denken, nutzt das nichts. Die EU läuft dann jedem einzelnen Fall nach. In Luxemburg haben wir allein 343 Fälle von Steuerdeals. Es geht um die Art Geschäfte zu machen, in Luxemburg, den Niederlanden, Irland, Malta, Zypern. Teilweise wurden die Steuern auf 0,005 Prozent runtergerechnet, mit den merkwürdigsten Winkelzügen.

Können diese Erfolge eine Welle auslösen?
KENTENICH Wenn montags was in der Presse steht, ist die Aufregung groß. Die Empörung hält ein wenig an, und ab Freitag ebbt sie schon wieder ab. Journalisten decken auf, doch in der EU müssten alle mitziehen, und das wird schwierig. Auch Wolfgang Schäuble hat manchmal auf der Bremse gestanden.

Haben die Fälle von prominenten Steuersündern etwas bewirkt?
KENTENICH Ja, wenn was in der Presse stand, gab es Bewegung. Es braucht wohl immer solche Anlässe, damit die Menschen verstehen: Hört mit dem Blödsinn auf! Die Gier, Geld für sich zu behalten, ist enorm.

Was war denn der spektakulärste, für Sie spannendste Fall?
KENTENICH Die spannendsten kommen ja noch. Bisher ist es natürlich das Selbstanzeigengeschäft gewesen. Minister Schäuble wollte ja mit der Schweiz den Deal machen, dass die Banken anonym Steuern abführen, ohne den Kontoinhaber zu benennen. Der rot-grüne Bundesrat hat das gestoppt. So ist Uli Hoeneß in Panik verfallen und hat eine verunglückte Selbstanzeige gemacht. Dann ging das Geschäft richtig los. Das war spannend. Oder hier in der Grenzregion: Luxemburgpendler, Banker, die in Wirklichkeit in Deutschland versteuern mussten. Wir haben Informationsgespräche mit allen großen Steuerkanzleien gehabt, mit dem luxemburgischen Arbeitgeberverband, den Banken …

Sie haben aktiv informiert …
KENTENICH Klaus-Robert Braus (bis vor kurzem Finanzamtsmitarbeiter, jetzt in Ruhestand, Anm. der Red.) ist mit dem luxemburgischen Christlichen Gewerkschaftsbund (LCGB) über die Lande gezogen und das seit etwa 2000. Doch keiner hat sich daran gehalten, denn es fehlte der Knall. Und der kam 2010…

Ein Banker, der sich vom Arbeitgeber vertraglich zusichern ließ, dass, wenn man ihn erwischt, die Bank die Strafe zahlt…
KENTENICH Genau der. Der Finanzmanager musste rund eine Million Euro Steuern und knapp 90 000 Euro Sozialversicherungsbeiträge nachzahlen. Da sieht man, wie problematisch das ist. Die wussten genau, wie es richtig geht und haben es trotzdem anders gemacht.

Ist man hier an der Landesgrenze besonders anfällig oder innovativ?
KENTENICH Jede Grenze, auf deren Seite unterschiedliche Steuersätze gelten, reizt, das auszunutzen. Wenn die Systeme zu unterschiedlich sind, wird es haarig. Steueroasen sind immer kleine Staaten. Deutschland mit 80 Millionen Einwohnern kann keine Steueroase sein.

Also, die Problematik mit Luxemburg bleibt ein Hauptthema für das Finanzamt?
KENTENICH Inzwischen haben rund 20 Prozent der Erklärungen auch einen internationalen Bezug, in der Regel zu Luxemburg. Die größte Herausforderung ist, nicht nur für uns in Trier, die Internationalisierung des Geschäfts. Welches Recht gilt? Wo ist überhaupt Steuerpflicht gegeben? Wer ist der Eigner eines Vermögens? Wo ist das Geld? Die Globalisierung ist nun mal da. Und wir reden oft über richtig große Vermögen mit mehreren Millionen.

Hinkt das Steuerrecht hinterher?
KENTENICH Ja, eigentlich immer.
Und es bleibt der Eindruck, die Kleinen fängt man, die Großen lässt man laufen?
KENTENICH Manchmal fragt man sich sogar, wer regiert uns eigentlich. Ich frage mal ganz polemisch: Sind es nicht die großen Konzerne, die die Verbreitung, die Macht und das Geld haben und sich die Dinge so schaffen, wie sie wollen? Nicht weil wir sagen, ihr dürft das, sondern weil es unglaublich schwierig ist, denen etwas nachzuweisen. Jede normale Straftat ist einfacher nachzuweisen. Aber Wirtschaftsprozesse? Dinge aufzudecken, die sich über viele Grenzen und viele Firmen abspielen, da wird es jedem schwindelig. Und man muss die Straftat beweisen. Vermutungen alleine reichen nicht.

Wenn man Sie hört, gehen Sie frustriert aus dem Job?
KENTENICH Das ist nicht der Fall. Gerade die Erfolge, die wir in Trier haben und noch haben werden, zeigen, dass man vieles aufdecken kann. Es ist aber sehr anstrengend, braucht sehr viel Zeit, mehr Personal, spezialisiertes Personal bis hin zum IT-Techniker. Und wir brauchen mutigen Journalismus, Informanten und Whistleblower. Sonst wird es verdammt schwer.
Heribert WaschbüschInterview Jürgen KentenichExtra: JÜRGEN KENTENICH


Jürgen Kentenich (64, verheiratet) hat in Köln Jura studiert und 1983 seine Karriere bei der Steuerverwaltung in Trier begonnen. Er ging dann nach Dietz, war später stellvertretender Vorsteher in Bitburg, wechselte nach Prüm und von dort nach Bernkastel-Kues. Nach der Wiedervereinigung ging er kurz nach Thüringen. Schon nach vier Monaten wechselte Kentenich für die nächsten zwölf Jahre zur Oberfinanzdirektion nach Koblenz, in die Personalabteilung, wo er in den letzten Jahren für das gesamte Personal der Finanzämter (7000 Mitarbeiter) zuständig war. Vom 1. August 2003 an ist Jürgen Kentenich Chef des Finanzamtes Trier.

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