Als die Wehrmacht zurückkam

Große Aufmerksamkeit für einen historischen Jahrestag: Ausführlich haben die Medien in Luxemburg in dieser Woche über die zweite Besetzung des Großherzogtums durch Truppen Hitler-Deutschlands im Zweiten Weltkrieg berichtet. Am Dienstag (16. Dezember) jährte sich zum 70. Mal die Rückkehr der Wehrmacht nach Luxemburg: Im Winter 1944 begannen deutsche Truppen die sogenannte Ardennenoffensive. Im Luxemburger Tageblatt hat sich Sascha Bremer, stellvertretender Chefredakteur, mit dem Thema auseinandergesetzt. Wir veröffentlichen seinen Essay in leicht gekürzter Form.

D ass die Ardennenoffensive im kollektiven Gedächtnis der Luxemburger blieb, hat vor allem zwei Gründe: Das Land musste zum zweiten Mal von den Wehrmachtstruppen befreit werden, und der Grad an Zerstörung im Norden des Landes sowie das Leid der Zivilbevölkerung waren für das damalige, 290 000 Einwohner zählende Luxemburg riesengroß.Ein ideales Hollywood-Szenario


Episch ist die viele Namen tragende Ardennenoffensive (Operation Wacht am Rhein, Rundstedt-Offensive, Battle of the Bulge, Hitlers letzte Offensive) allerdings auch, weil sie vor allem bewusst nach dem Krieg von den westlichen Siegermächten - neben der Invasion in der Normandie - zu einer solchen hochstilisiert wurde. Im ideologischen Wettkampf mit der Sowjetunion wollte man vom Klassenfeind während des Kalten Krieges nicht ständig Kampfschauplätze wie Leningrad, Moskau, Stalingrad, Kursk oder auch Berlin unter die Nase gerieben bekommen. Zudem war die Geschichte zu gut, als dass Hollywood sich ihr nicht angenommen hätte. In der Tat erinnert vor allem die Bastogne-Episode doch stark an den ur-amerikanischen Mythos der von den Indianern umzingelten Wagenburg, welche von der Kavallerie befreit wird.
Rückblick. Dass das Kriegsende zwar nah war, sie aber Weihnachten nicht zu Hause sein würden, dessen waren sich die angloamerikanischen Truppen in Europa Mitte Dezember 1944 durchaus bewusst. Zwar hatten die Kampfverbände seit der Landung in der Normandie im vorangegangenen Juni nach anfänglichen Schwierigkeiten spektakuläre Territorialgewinne erzielen können, doch ihnen war, wegen der nunmehr ausgedehnten Nachschublinien buchstäblich der Sprit knapp geworden. Es sollte noch zu einer unangenehmen Überraschung für Eisenhowers Truppen und die Zivilbevölkerung im Norden Luxemburgs und Westen Belgiens kommen.
General Pattons 3. Armee etwa, die in den Wochen zuvor nach dem Durchbruch bei Avranches die Nazi-Truppen regelrecht heim ins Reich geworfen hatten, mussten aus logistischen Gründen vor Metz haltmachen. Die Festungsstadt wurde erst nach einer dreimonatigen Schlacht endgültig am 13. Dezember eingenommen. Zu diesem Zeitpunkt war Nazi-Deutschland aus strategischer Sicht längst geschlagen, aber noch nicht bereit, die Kampfhandlungen einzustellen. Die Offensive der Amerikaner und Briten kam auch vor allem deshalb ins Stocken, weil es schlicht nicht genügend Umschlagplätze für den Nachschub an der Atlantischen Küste gab.
Glücklicherweise war es den Briten dank der Unterstützung flämischer Untergrundkämpfer gelungen, den Hafen von Antwerpen samt seinen Anlagen quasi intakt in die Hände zu bekommen. Von hier aus konnten Eisenhowers Kampfverbände mit dem Nötigsten versorgt werden, um zum letzten Stoß in das Herz des Reiches anzusetzen. Die Stabilisierung der Front entlang der Reichsgrenze erlaubte es den Alliierten im Westen, sich für weitere Kampfhandlungen aufzustellen.
Dasselbe galt aber auch für die Wehrmacht. Und was wenige im Alliierten-Hauptquartier für möglich hielten, sollte dann am 16. Dezember in den Ardennen beginnen: Die Wehrmacht konnte noch einmal 200 000 Soldaten zum Gegenschlag mobilisieren.
Obwohl die deutschen Kampfverbände an der Westfront seit September auf dem Rückzug waren, begannen zu diesem Zeitpunkt wohl die Überlegungen im Obersten Kommando des Heeres für eine Gegenoffensive, die sich auf der deutschen Verteidigungslinie entlang der Grenze (Westwall) stützen konnte. Als Angriffsziel schälte sich gerade der Hafen von Antwerpen heraus, dazwischen lagen abgekämpfte, also geschwächte amerikanische Truppen. Durch eine neuerliche Okkupation Antwerpens wäre Eisenhowers Truppen logistisch ein schwerer - aber wohl kaum ein vernichtender - Schlag zugefügt worden, zudem wären die britischen Truppen wie einst 1940 bei Dünkirchen eingekesselt gewesen.Größenwahn und Verblendung


Nur stellt sich nach wie vor die Frage, mit welchem übergreifenden Ziel? Seit 1943 war der Wehrmachtsführung - Hitler ausgeschlossen - klar, dass lediglich ein Separatfrieden, im besten Falle ein Kompromissfrieden möglich war. Die Wehrmacht hatte nach Stalingrad und der Schlacht um Kursk jegliche Fähigkeit verloren, die strategische Initiative ergreifen zu können. Wohl nur das Zurückschlagen der Invasion in der Normandie hätte zu einem längeren Aufschub des Kriegsendes führen können. Diese Möglichkeit bestand aber spätestens seit September 1944 nicht mehr. Die militärischen Überlegungen, die zur deutschen Offensive im Winter 1944 führen sollten, waren demnach geprägt durch Größenwahn in Verbindung mit völliger Verblendung in Bezug auf einen kriegsentscheidenden Sieg der Wehrmacht, besonders wenn man sich den Treibstoff und Materialmangel der Wehrmacht zu diesem Punkt anschaut.
Einmal angenommen, die Offensive wäre geglückt, wäre die Wehrmacht dann überhaupt in der Lage gewesen, die eingekesselten britischen und Alliierten Verbände zu zerschlagen? Und wären bei einem Gelingen der Offensive Großbritannien und/oder die USA zu einem Separat- oder Kompromissfrieden bereit gewesen? Rückblickend müssen diese Fragen mit Nein beantwortet werden.
Manche sprechen in diesem Bezug gerne davon, Hitler und seine Generäle hätten Vabanque gespielt, also alles auf eine Karte gesetzt. Das ist insofern wahr, als zum vorletzten Mal - die letzten deutschen Offensivbemühungen sollten in Ungarn stattfinden - Wehrmachtstruppen zum Angriff übergingen.
Die Alliierten wurden deshalb anfänglich überrascht, weil sie davon ausgegangen waren, dass die Wehrmacht zu größeren Unternehmungen nicht mehr fähig sei.
Auch wenn die Wehrmacht im Winter 1944 noch immer über ein beachtliches Vernichtungspotenzial verfügte, ihre Ziele konnte sie nur noch auf dem Papier erreichen.Die Tragik einer Schlacht

 Deutsche Soldaten auf dem Vormarsch in den Ardennen (Bild unten): Die Offensive samt erneuter Besetzung Luxemburgs vor 70 Jahren war schon im Ansatz aussichtslos. Letztlich befreiten amerikanische Truppen die besetzten Gebiete. Ganz oben ein Lageplan zu den geplanten Vorstößen. Fotos: Tageblatt-Archiv/US Army/Jean-Claude Ernst (Montage: Julien Primout)

Deutsche Soldaten auf dem Vormarsch in den Ardennen (Bild unten): Die Offensive samt erneuter Besetzung Luxemburgs vor 70 Jahren war schon im Ansatz aussichtslos. Letztlich befreiten amerikanische Truppen die besetzten Gebiete. Ganz oben ein Lageplan zu den geplanten Vorstößen. Fotos: Tageblatt-Archiv/US Army/Jean-Claude Ernst (Montage: Julien Primout)


Die Tragik dieser Schlacht liegt neben dem tausendfachen Leiden und der Zerstörung eigentlich darin, dass die Wehrmachtsführung auch diese aus militärischer Sicht sinnlose Operation bis zum Schluss unterstützte.
Der Krieg war weder militärisch noch politisch zu gewinnen. Die US-Boys hätten zu diesem Zeitpunkt Weihnachten zu Hause feiern können. Stattdessen mussten rund 19 000 von ihnen, nebst rund 500 luxemburgischen Zivilisten, ihr Leben in den kalten Wintertagen der Ardennen lassen.
Es sollten bis zum unausweichlichen V-Day in Europa einige Monate später leider nicht die Letzten sein.

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