„Stacheldraht und Zäune bieten keine absolute Sicherheit“ - Volksfreund-Interview mit Luxemburger Ex-Politiker Goebbels

Luxemburg · Er gilt als der Vater des Schengen-Abkommens: Robert Goebbels, 71, hat als Außenstaatssekretär für Luxemburg das die Verträge unterzeichnet. Das Abkommen trat 1985 in Kraft und hat dafür gesorgt, dass die Grenzen innerhalb der Mitgliedsländer gefallen sind. Unser Redakteur Bernd Wientjes sprach mit Goebbels über Pläne, nun wieder die Grenzen dichtzumachen.

 Robert Goebbels. Foto: Luxemburger Tageblatt

Robert Goebbels. Foto: Luxemburger Tageblatt

Herr Goebbels, mal wieder wird über Schließung der Grenzen gesprochen. Was halten Sie davon?
Robert Goebbels: Das beweist nur, dass es immer mehr Politiker gibt, die ihren Wähler vorgaukeln, sie könnten mit Stacheldraht, Zäunen und Mauern absolute Sicherheit bieten. Das ist eine Illusion.

Fakt ist aber doch, dass einige der Attentäter von Paris sich frei innerhalb der EU bewegt haben. Brauchen wir da nicht doch mehr Kontrollen?
Goebbels: Ja, es stimmt. Sie haben sich frei bewegt innerhalb des Schengen-Raums. Fakt ist auch, dass sie sogar kontrolliert wurden etwa in Deutschland. Sie wurden aber nicht gefasst. Vielleicht weil sie mit falschen Papieren unterwegs waren. Vielleicht auch, weil es Probleme gab zwischen den verschiedenen europäischen Behörden. Auf dieser Ebene, der Zusammenarbeit der Behörden, sollte man ansetzen.

Brauchen wir stärkere Kontrollen an den EU-Außengrenzen?
Goebbels: Genau das ist das Hauptproblem. Das Schengen-Abkommen regelt die Freizügigkeit an den Binnen-Grenzen. Das war ein Riesenerfolg. Pro Jahr überqueren 1,5 Milliarden Menschen dieses Grenzen innerhalb des Schengen-Raums. Wer will die noch kontrollieren. An den Außengrenzen könnte man es noch schaffen. Pro Tag reisen etwa drei Millionen Menschen über die EU-Außengrenze, auch über die Flughäfen, ein. Das sind immer noch 130 bis 140 Millionen Leute pro Jahr. Da könnte die Kontrolle noch gerade so gelingen.

Was würden Kontrollen und Grenzschließungen in der EU bedeuten?
Goebbels: Das erleben wir derzeit täglich in Luxemburg seit die Grenzen zu Frankreich wieder bewacht werden. Es gibt riesige Staus, 20 bis 25 Kilometer lang, jeden Morgen und jeden Abend auf der Autobahn von und nach Frankreich. Die Nerven der 100.000 französischen Grenzgänger liegen blank. Die brauchen für jede Fahrt über zwei Stunden, auch wenn sie Bus oder Bahn benutzen. Auch der internationale Gütertransport wird behindert. Der grenzüberschreitende Handel kommt zum Erliegen, weil keiner mehr zum Einkaufen über die Grenze fahren will.

Also sind Schengen und die Freizügigkeit in der EU nicht der Grund, warum es Kriminalität und Terrorismus innerhalb Europas gibt?
Goebbels: Einige Politiker geben gerne den Schengen-Verträgen die Schuld an allem. Mehr Flüchtlinge. Mehr Kriminalität. Mehr Terrorismus. Tatsache ist: Großbritannien ist nicht im Schengen-Raum. Dort gibt es aber mehr Kriminalität als in anderen EU-Staaten. Es gibt jede Menge illegale Einwanderer in Großbritannien, trotz Grenzkontrollen. Wir müssen einsehen, dass es eine absolute Sicherheit nie geben wird. Auch Zäune sind überwindbar.

Trotzdem haben ja einige EU-Staaten genau dies getan, um der ungebremsten Zuwanderung von Flüchtlingen Herr zu werden.
Goebbels: Die Flüchtlingsbewegung lässt sich dadurch nicht aufhalten. Da sind Hunderttausende von verzweifelten Menschen unterwegs, die vor dem gleichen Terror flüchten, vor dem wir uns auch fürchten. Die werden immer wieder Wege finden. Viele lassen dabei ihr Leben. Das ist doch nicht die Perspektive, die wir dem Rest der Welt geben können.

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