Acht Tage gelaufen

Als Zwanzigjährige wurde ich, wie so viele andere, zur Luftwaffe dienstverpflichtet. Eingesetzt wurde ich erst als Flakhelferin, nach drei Monaten dann bei der Luftwaffe, Sanitäts-Abteilung 13/7 beim Luftgau 12 in Darmstadt.

Nachdem wir dort ausgebombt waren, wurden wir verlegt auf den Flugplatz Gelnhausen (Hessen). Dort erlebten wir das Kriegsende. Seit drei Monaten hatte ich nichts mehr von meinen Angehörigen gehört. Nun, da alles vorbei war, wollte ich nach Hause. Aber wie? Es gab kein Auto, der Zug fuhr auch nicht, Geld hatte ich nicht. Also musste ich mich zu Fuß auf die Socken machen. Mit zwei Mädchen und einem jungen Soldaten machte ich mich auf den Heimweg. Schon am ersten Abend, nach 30 Kilometern mit kaputten Schuhen, waren unsere Füße voller Blasen. Am dritten Tag erreichten wir den Rhein. Nun mussten wir über den Fluss in die französische Zone - ohne Ausweis und ohne Papiere. Ein junger unbekannter Mann machte uns das Angebot, bei Nacht mit einem kleinen Boot rüber zu rudern. Es war eine riskante Sache. Bei jeder Bewegung auf dem Rhein wurde geschossen. Aber wir schafften es ans andere Ufer und fanden dort eine liebe Familie, die uns zu essen und ein Bett zum Schlafen gab. Am fünften Tage zogen wir weiter. Wir wollten doch nach Hause. Wir fanden jeden Abend liebe Leute, die uns zu essen gaben und bei denen wir schlafen konnten. Dafür bin ich heute noch dankbar. Dann ging es über den Hunsrück (Stromberg, Simmern, Kirchberg). In Kirchberg blieben wir einen Tag und eine Nacht. Eine nette Familie hatte uns angeboten, einen Tag unsere Füße zu schonen und uns etwas auszuruhen. Das tat uns dann auch gut. Am nächsten Morgen wurden wir mit Broten und Getränken versorgt und setzten unsere unfreiwillige Wanderung fort. Wir gingen Richtung Bernkastel. Meine Leidensgenossen mussten nach Konz, also in eine andere Richtung. So musste ich das letzte Stück alleine gehen. Am Abend des achten Tages kam ich dann bei meiner Familie in Mülheim an. Die Freude war groß, schließlich hatten wir drei Monate nichts voneinander gehört. Keiner wusste, ob der andere noch lebte. Leider fehlte beim Wiedersehen unser Bruder Hans. Er war mit 19 Jahren bei der Marine ums Leben gekommen. Trotzdem freuten wir uns, dass der Rest der Familie wieder beisammen war. Allen Menschen, die uns damals auf diesem beschwerlichen Fußmarsch geholfen haben, bin ich heute noch sehr dankbar. Ohne die selbstlose Hilfe hätten wir es wohl nicht geschafft. Leni Schiffmann, geborene Flesch, ist 82 Jahre alt. Sie stammt aus Mülheim und lebt heute in Brauneberg.

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