Ärzte sollen haften

WITTLICH. (peg) Am Mittwoch werden Patienten auch hier vor verschlossenen Arztpraxen stehen. Damit möchten die Ärzte ein Zeichen setzen gegen die restriktive Sparpolitik gesetzlicher Krankenkassen und politischer Gremien.

Auch in der Kreisstadt machen die Ärzte mobil: Hautarzt und Allergologe René Pschierer, Internist Wilhelm Schrot und Allgemeinarzt Matthias Schilling gehören dazu. Sie haben sämtliche Patiententermine "umgebucht" und reisen am Mittwoch nach Neustadt zur zentralen Veranstaltung ihres Berufsstandes. Einmal im Monat trifft sich der Kreisärzteverein, ein freiwilliger Zusammenschluss, um berufspolitische Herausforderungen zu besprechen. Bei der jüngsten Zusammenkunft hatten sich rund 30 Kollegen auf eine Schließung ihrer Praxen am 22. Februar geeinigt. Auslöser für den Unmut ist die geplante Bonus-Malus-Regelung des Bundesgesundheitsministeriums (der TV berichtete). Ärzte, die mit ihren Verordnungen mehr als zehn Prozent über dem Durchschnitt liegen, sollen mit ihrem Privatvermögen haften. "Belohnt würden also ,sparsame' Mediziner", erläutert Schilling: Ärzte, die nicht das beste aller Medikamente verschreiben, sondern das billigste. Als Folge befürchten auch Wittlicher Ärzte, dass notwendige, teilweise lebensnotwendige Therapien auf ein minimales Niveau gefahren werden. Patienten, die einer teuren Medizin bedürfen, zum Beispiel Menschen mit Krebs, Diabetes, Demenz, Parkinson oder Koronarer Herzkrankheit, bringen den behandelnden Arzt rechnerisch ins Minus und könnten rasch "unerwünscht" sein: Aus Mangelversorgung würde Unterversorgung. Unsozial und unmenschlich, sagt Schilling. Sein Lösungsvorschlag: Eine Positivliste mit Medikamenten, deren Wirksamkeit zweifelsfrei nachgewiesen ist, und die jeder Arzt ohne Rücksicht auf Malus oder Bonus verordnen darf. Die chronische Unterfinanzierung im System biete keinen Anreiz mehr für Investitionen: Der allerorten zu beobachtende Stellenabbau werde fortschreiten - Schilling liegen Zahlen vor, nach denen bereits 100 000 Stellen beim nichtärztlichen Personal in den Praxen entlassen wurden. Gut ausgebildete Mediziner streben weiter ins Ausland. Das billigste, statt das hilfreichste Medikament

Seit 1982 ist Matthias Schilling Arzt. Er hat die Zeit noch miterlebt, als Mediziner das Medikament verschreiben konnten, das für den Kranken das hilfreichste und nicht das, welches für die Kassen das billigste war. Heute weht ein anderer Wind. Als Facharzt für Diabetes kämpft Schilling für die optimale medizinische Versorgung seiner Patienten. So dürfe auch nicht die Insulinversorgung für Menschen mit Diabetes mellitus eingeschränkt werden. Die Verordnung moderner, sehr kurz wirkender Insuline, solle für alle Patientengruppen bei entsprechender medizinischer Notwendigkeit erhalten bleiben. Aus Kostengründen ist ein Verbot der Verordnung solcher Insuline für bestimmte Patientengruppen geplant. Vor wenigen Tagen erlebte Schilling selbst, welch massive Folgen die Sparpolitik der Kassen hat. Eine seiner Diabetes-Patientinnen war lebensgefährlich kollabiert. Der Hintergrund: Es war Monatsende, ihr Portemonnaie leer. Sie hatte schlicht kein Geld mehr übrig für die hohe Zuzahlung zum Insulin.

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