Als die Hoxeler Brücke fiel

HAAG/TRIER. (red) Das Weihnachtsfest 1944 war in der Region Trier vom Vorrücken der Alliierten Truppen geprägt. Eindrucksvoll schildert der folgende Bericht das Geschehen am Rande der Eroberung der Hoxeler Brücke.

Im Zuge der Evakuierung Triers im Spätsommer 1944 hatte man meine Mutter und mich im Hunsrück-Örtchen Haag bei der Witwe Margarethe Mettler einquartiert. Damals war ich elf Jahre alt. Frau Mettler und ihre Tochter Gustel hatten uns am zweiten Weihnachtsfeiertag 1944 zum Mittagessen eingeladen. Das Tischgebet war gesprochen, und unsere ergraute, vollschlanke Gastgeberin mit den listigen Äuglein und dem verschmitzten Lächeln schenkte gerade die Suppe ein, mit Markklößchen, die sie extra für mich gemacht hatte. Da entfaltete sich ein dumpfes Brummen über unseren Köpfen. Es wurde lauter und lauter und erfüllte schließlich mit bedrohlichem Dröhnen die Stube. Die Fensterscheiben begannen zu klirren. Aus Erfahrung wussten wir, was das bedeutete; wir schauten uns vielsagend an und verteilten uns aufgeregt an den beiden kleinen Fenstern der Stube. Und unter dem wolkenlosen Horizont suchten wir den Fuß des Erbeskopf-Höhenrückens ab. Bomben-Gewitter am Weihnachtstag

Und da stach sie uns dann auch schon in die Augen: am helllichten Weihnachtssonnentag eine nicht mehr abzählbare Reihe von blendenden Blitzketten, konzentriert im Gebiet von Hoxel. Und Sekunden später rollte der grollende Donner weit entfernter Bombendetonationen über uns hinweg. Wieder einmal hatten die Alliierten die Hunsrückhöhenstraße und, wie sich später herausstellte, die strategisch wichtige Eisenbahnbrücke bei Hoxel mit todbringender Last belegt. Und mit ihrem apokalyptischen Ritus zum christlichen Friedensfest zwangen sie uns in unserer scheinbar dörflichen Sicherheit eine Ahnung davon auf, was jener totale Krieg bedeutete, den tausende von Verführern und Verführten im Berliner Sportpalast auf unser gequältes Volk herabgeschrien hatten. Aber in der von einem schwerem Leben gebeutelten Priestermutter wuchsen auch Zweifel am "way of life" unserer Befreier: "Naa, naa, wat bräängen dej uhs fian naumodisch Kuldua, wannse ob Chresdaach Bombe schmaiße mejisse!" (Nein, nein, was bringen die uns für eine neumodische Kultur, wenn sie auf Weihnachten Bomben werfen müssen!) Die drei Frauen fingen an zu beten, spontan, ich auf Geheiß. Und unseren aufgescheuchten Seelen entrang sich das "Vaterunser" mit dem "Ave Maria", "Unter Deinen Schutz und Schirm" und, in gesenktem Tonfall, ein "Requiescant in pace", erst auf Latein und dann Auf Deutsch: "Herr, lass sie ruhen in Frieden!" Wir sind nochmal davongekommen. St. Florian hat geholfen. Dem Herrn sei Dank! Um ehrlich zu sein: Als ich merkte, dass das Zielgebiet des Luftangriffs in sicherer Ferne lag, da wurde meine kreatürliche Angst von jener natürlichen Faszination verdrängt, mit der ich, zumeist unbewusst und deshalb besonders gefährdet, auch heute noch sinnes- und gefühlsoffen Film und Bildberichte über Grauen und Kriege in ferner Welt erlebe, von denen ich mich dann rational distanziere. Mit elf Jahren und abseits vom Chaos an Front und "Heimatfront" (so rechtfertigte das verbrecherische Nazisystem den Tod der Zivilbevölkerung im heraufbeschworenen "totalen" Krieg) erlebte ich den apokalyptischen Überlebenskampf gewissermaßen als Abenteuer, das andere für mich bestanden und das, obwohl meine Mutter mich gewissenhaft und behutsam aufgeklärt hatte über die unheilschwangere Kriegsfurie in aller Welt, über Gräueltaten in den KZ und über den "Antichrist mit dem Hitlerkopf - und erzähl' um Himmelswillen draußen kein Sterbenswörtchen von dem, was wir unter uns reden, sonst stecken sie Vati ins KZ und dich und mich auch!" Heinz Joseph Nisius, Trier

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