Ampelmann liebt Apfelstrudel
WITTLICH. Konversion ist ein trockener Begriff. Welche Geschichten mit ihr verbunden sind, erzählt der Trierische Volksfreund, etwa als Interview mit einem Ex-Soldaten.
Was ist Ihnen als erstes aufgefallen an der Stadt? Jérôme Gascoin: Dass Wittlich in einem Tal liegt: Das war der Blick von der Autobahn nach einer Acht-Stunden-Reise von Paris nach Wittlich. Expedition statt Reise sollte ich besser sagen, damals mit meinem R4. Wollten Sie damals lieber in Frankreich stationiert sein? Gascoin: Nie. Das war der Grund meiner Offizier-Ausbildung: Die Möglichkeit, danach eine Stelle außerhalb Frankreichs zu bekommen. Ich hatte damals im Kopf: Martinique oder Guadeloupe. Leider waren die einzigen freien Stellen in Deutschland: Baden-Baden, St. Wendel, Wittlich und noch ein Ort im Schwarzwald Pech wegen Sonne und Meer. Wieso Wittlich? Ich habe einfach "ene mene mu" gespielt. Der Zufall hat das gut gemacht, dass ich heute sagen kann: Ich bin ein Wittlicher! Die Kaserne: Was fällt Ihnen als erstes Bild ein, wenn Sie sich zurück erinnern? Gascoin:Schrecklich. Sie müssen verstehen, dass ich damals gerade aus der militärischen Akademie von Saint-Cyr kam, wo alles schön und High-Tech war. In Wittlich habe ich schreckliche Gebäude vorgefunden, nicht gerade High-Tech- Material und Leute, die in ihrem Leben einfach eingeschränkt waren. Also, kein schönes Bild. Was denken Sie, wenn jetzt die Bagger die Gebäude einreißen? Gascoin: Eine gute Sache. Ich habe sowieso immer gefunden, dass Fremd-Militärische Kraft im eigenen Land keine langfristige gute Lösung ist. Es schafft Platz für die Zukunft von Wittlich. Wie wär's mit Ikea an dieser Stelle, hein? Design-Möbel statt Waffen: Lebst du noch? Für Wittlich eine gute Frage. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch: Ich mag Wittlich sehr, ich glaube, dass Wittlich ein schöne Zukunft vor sich hat. Nur es scheint, dass viele Leute hier das noch nicht begriffen haben: Leben statt jammern! Ist das nicht ein schönes Konzept?! Wo war Ihr Lieblingsplatz in der Kaserne/ oder der schlimmste Ort? Gascoin: Draußen im Wald am Mesenberg mit meinem Zug, wo ich mit der Verwaltung nicht konfrontiert war. Gut, ein bisschen Verwaltung muss sein, kann ich verstehen. Aber zu viel… da habe ich keine Lust mehr auf nichts: das blaue Formular mit dem gelben auszufüllen, ohne zu vergessen, drei Exemplare zu machen, um neue Kugelschreiber zu kriegen. Ich übertreibe, aber da steckt schon ein bisschen Wahrheit drin. Das Schreckliche: im Zivil-Leben ist das nicht besser. Schlimmster Ort? Das Büro meines Capitaine. Wie startete ein Tag in der Kaserne, wie hörte er auf? Gascoin: Zu früh: um 6 Uhr bis 23 Uhr. Das war o.k., bis ich Isabel kennengelernt habe. Meine Pünktlichkeit hat sich wesentlich verschlechtert. Ich habe noch diese Szene im Kopf: kurz vor 7 Uhr, ein Typ (ich), frisch aus dem Bett seiner Freundin, der in die Kaserne läuft, sich gleichzeitig rasiert (elektrisch mit langem Kabel ist das möglich), vor die Kompagnie läuft und außer Atem mit seinem Zug seinen Platz einnimmt für den Morgenappell. Natürlich war mein Capitaine nicht besonders glücklich über so ein Theater. So etwas glaube ich danach in seinem Büro verstanden zu haben. Wiev iele französische Soldaten hatten deutsche Freundinnen? Gascoin: Schwer zu beantworten: Es gab (und gibt heute noch) so viele schöne Wittlicherinnen. Angeblich konnte man ja über die Mauer klettern... Sind Sie ein guter Kletterer? Gascoin: Ich brauchte nicht zu klettern. Als Offizier hatte ich mein eigenes Zimmer außerhalb der Kaserne. Mein Job war es auch aufzupassen, dass die Chasseurs meines Zuges in ihrem Zimmer blieben. Das Leben ist unfair. Wie war denn damals das Wittlicher Nachtleben? Gascoin: Kalt und nass. In Paris ist das nur nass. Der Charme der Franzosen hat ja manchen stoffeligen Wittlicher oft geärgert. Wie war das denn als Franzose in Wittlichs Kneipen? Gascoin: Da kann ich nicht viel sagen, da ich kein Kneipen-Typ bin. Ich war (und bin immer noch) lieber zu Hause mit ein paar Freunden am Kamin mit Saucisson und Bordeaux, Maronen im glühenden Feuer, Bücher und Jazz im Hintergrund. Da kann ich die Zeit wirklich genießen. Was schätzen Sie heute besonders am Wittlicher Nachtleben? Gascoin: Wittlicher Nachtleben? Voyons… Doch! Etwas in Wittlich hat mich stark beeindruckt: die Jazz-Konzerte. Vielleicht kennen Sie "Le Petit Journal" in Paris, wo man Welt-Klasse Jazz-Musiker hören kann. Das erste Mal im Saal-Kaienburg wo ich um ehrlich zu sein, ohne große Erwartungen hingegangen bin war für mich eine Entdeckung: Plötzlich hatte ich das Gefühl, in Le Petit Journal zu sein. Heute noch ist das für mich ein Rätsel: Wie schaffen die Organisatoren es, Spitzen-Musiker nach Wittlich zu ziehen? Magie? Ja, das ist es: Magie und Super-Stimmung, coole Gefühle. Als Dankeschön: Eine Statue der Organisatoren im Stadtpark wäre nicht zu viel. Sommer in Wittlich/Sommer in Frankreich Was vermissen Sie? Gascoin: Das Meer. Und nicht nur im Sommer. Das Meer, qu'on voit danser le long des golfes clairs. Seit wann sprechen Sie überhaupt Deutsch? Was können Sie bis heute nicht aussprechen? Gascoin: Es tut mir leid. Aber nachdem ich acht Jahre Deutsch spreche, massakriere ich immer noch die Sprache ganz schön. A propos Sprache, ich höre sehr oft Leute sagen, die deutsche Sprache klingt nicht schön und Französisch ist so toll. Wie kann man so über seine eigene Sprache sprechen? Ihr seid alle verrückt! Ich kann euch sagen: Die Sprache kann wunderschön sein. Ein Beweis dafür: Lassen Sie sich "ich liebe Dich" ins Ohr flüstern. Klingt das nicht toll? Es ist wie am Meer: chhh-ie-chhh (Wellen). Um meine Gedanken zusammenzufassen: Deutsch ist eine Sprache, die schizophren ist: leiser oder normal gesprochen ist sie ein Traum. Aber wenn man die Sprache schreit schreien Sie einfach "Hör auf" ganz laut da kriege ich immer noch vor Schreck Gänsehaut. Bis heute habe ich Probleme mit dem "z" und mit dem "h". Zwischen "a" und "h" höre ich kaum einen Unterschied. Das heißt, ich sage "allo" zu meinen Freunden, nenne meinen Schwiegervater immer noch "eins" und ich singe meiner Tochter das Lied "Ampelmann". Wo fehlt Wittlich heute der Charme aus dem Nachbarland, wo merken Sie besonders, dass die Franzosen abgezogen sind? Gascoin: Was? Die Franzosen sind abgezogen? Seit wann? Können Sie Wittlicher Platt? Gascoin: Nein. Ich verstehe davon kein Wort. Wenn ich in Bayern bin, bin ich genauso verloren. Als Franzose ist man ja angeblich Feinschmecker. Was haben Sie denn hier an deutscher Küche kennengelernt? Gascoin: Apfelstrudel. Die Fragen stellte Redakteurin Sonja Sünnen