Apfelsinen und ein kleiner Schinken

TRABEN-TRARBACH. Das war eine Herausforderung für Ella und Gretel Geis aus Traben-Trarbach: Die beiden Schwestern sollten sich an Weihnachtsfeste in ihrer Kindheit erinnern, und die liegt immerhin acht Jahrzehnte zurück. "Eigentlich war es jedes Jahr dasselbe", sagen sie, und dann fallen ihnen doch immer mehr Einzelheiten aus lange vergangenen Kindertagen wieder ein.

Fünf Kinder hatten Gustav und Luise Geis: die Söhne Gustav und Hans, die Töchter Ella, Gretel und Hildegard. Der 1884 geborene Vater stammte aus dem Hunsrück und war Lokomotivführer auf der Strecke Traben-Trarbach-Bullay und nebenbei Winzer. "Es konnte vorkommen, dass er Heiligabend Dienst hatte", sagt Ella Geis, "dann mussten wir mit der Bescherung bis zum nächsten Morgen warten". Doch schon in den Wochen vor dem Fest wuchs die Vorfreude im Haus in der Trabener Bismarckstraße.Hausmusik am Heiligen Abend

Die Mutter buk Plätzchen, und die Töchter halfen gerne mit, denn dabei durften sie naschen. Ella und Gretel Geis übten emsig Weihnachtslieder auf dem Klavier. Unterricht erteilte ihnen damals das Fräulein Quickert, und am Heiligen Abend griffen die Schwestern in die Tasten, begleitet vom Vater auf der Violine und Bruder Gustav auf der Flöte. "Damals hatten wir eine gute Stube, die wurde nicht immer benutzt", erinnert sich Gretel Geis. Dieses Zimmer wurde schon in der Weihnachtszeit abgeschlossen, "darin wurde alles fürs Fest abgestellt". Die Familie verbrachte die Abende nun in einem kleinen Wohnraum neben der "guten Stube", und die Kinder versuchten immer wieder, einen Blick durchs Schlüsselloch zu erhaschen. "Den Weihnachtsbaum haben wir erst am Heiligen Abend gesehen", erzählen die Schwestern. "Er wurde von den Eltern geschmückt, wir sangen die Weihnachtslieder, und dann wurde die Tür geöffnet und wir erblickten den mit brennenden Kerzen geschmückten Baum." Schmunzelnd erinnern sie sich, dass sie natürlich immer das Lied "Am Weihnachtsbaum die Lichter brennen" singen mussten. Erst nach musikalischem Vortrag und Gedichten gab es die Bescherung. Die Geschenke fielen bescheiden aus, aber die Freude war dennoch groß. "Die Puppe bekam ein neues Kleid, für die Puppenküche gab's ein neues Töpfchen, und neue Gardinchen schmückten die Puppenstube." Den Jungens strickten die Schwestern Strümpfe, sie kriegten auch Bauklötze und eine kleine Eisenbahn, und Ella und Gretel Geis erinnern sich gerne an ihre Bücher "Peterchens Mondfahrt" und "Nesthäkchen". Die Mutter nahm sich damals Zeit und las den Töchtern daraus abends vor. Gegessen wurde an Heiligabend "nichts besonderes", und auch am ersten Feiertag sei "nichts Ausgefallenes" auf den Tisch gekommen, aber einen Pudding habe es als Nachtisch gegeben. Bei den Nachbarn wurde schon ein Gänsebraten gegessen, erinnern sich die Schwestern, die immer wieder betonen, dass sie keinen Neid kannten. Es habe damals viele wohlhabende Weinhändler in Traben-Trarbach gegeben, bei denen das Fest üppiger ausgefallen sei, aber im Hause Geis seien alle zufrieden mit dem gewesen, was sie hatten. Eine Leckerei allerdings durfte zum Fest nicht fehlen. Vater Gustav besorgte sie gleich gegenüber in der Metzgerei Christmann. Dort kaufte er jedes Jahr einen kleinen Schinken für die große Familie. "Alles war viel bescheidener", sagen die Schwestern, "Süßigkeiten gab es selten, Apfelsinen nur zu Weihnachten, aber wir waren nie knapp mit dem Essen." Die Familie baute Getreide und Kartoffeln auf dem Mont Royal an, sie hielt Hühner, Hasen und Kaninchen, und in der Nähe des Hauses war der Nutzgarten mit Gemüse. "Zu Weihnachten durften wir aber viele Plätzchen essen", erzählt Ella Geis. Die Mutter buk Streusel- und Apfelkuchen. "Stollen kannten wir früher hier gar nicht", sagt Gretel Geis. Die Mutter habe sie später aber gerne gebacken, weil sie so lange haltbar waren. Bescheiden waren damals die Geschenke, aber die Freude und Zufriedenheit über glückliche Weihnachtsfeste in ihren Kinderjahren scheinen sich Ella und Gretel Geis bis ins hohe Alter bewahrt zu haben.

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