Arztbesuche können teuer werden

HUNSRÜCK. Der Wegfall kostenloser Beförderung zur ambulanten Behandlung stellt chronisch Kranke und geringer Verdienende vor ein Problem.

Seit Anfang des Jahres stellt jeder Arzttermin die Rentnerin Erna Ruckel vor ein Problem. Stand der 76-Jährigen bisher wegen einer 100-Prozent-Schwerbehinderung kostenfrei ein Taxi zu, muss die Morbacherin nun zahlen, es sei denn, Tochter oder Enkel springen ein. Busverbindungen gibt es von Morbach nach Idar-Oberstein oder Trier nicht und ein Taxi mit Wartepauschale kostet 25 bis 50 Euro.Erschwerend kommen Medikamentenzuzahlung und Praxisgebühr hinzu. Und das nach einem langen Arbeitsleben. "Wir haben uns die Krankheiten angearbeitet", stellt die Witwe fest, die nach einer kriegsbedingt beendeten Lehre putzen ging und später mit ihrem Mann, einem Binnenschiffer, unterwegs war.Ähnlich geht es Maria Warfolomeow, die nach mehr als 40 Jahren Beitragszahlung mit ihrer Rente haushalten muss. Für die 85-Jährige Bernkastel-Kueserin sind sechs Euro pro Arztbesuch viel Geld. Vor allem, wenn sie drei Mal pro Woche in die Praxis muss. Doch zu Fuß schafft sie das nicht. Dennoch bleibt sie gelassen: "Ich muss es holen, wie es kommt."Von der Beschränkung kostenloser ambulanter Fahrten auf "medizinisch zwingende" Behandlungen sind neben chronisch Kranken auch Menschen mit geringem Einkommen betroffen. Die Kosten werden nur noch bei Dialyse, Chemo und Bestrahlung, sofern von der Krankenkasse genehmigt, übernommen. Auch in der Vergangenheit floss das Gros der Fahrtkostenzahlungen beim Verband der Arbeiter- und Angestelltenkrankenkassen Rheinland-Pfalz in diese Bereiche.2003 hat die Krankenkasse für Fahrten etwa so viel wie die AOK im Land ausgegeben, nämlich 62 Millionen Euro. Stärkster Posten sind Rettungsfahrten. Durch die Einschränkung rechnet der Bund mit 0,5 Milliarden Euro Entlastung. Fahrkosten und Praxisgebühr betreffen lediglich gesetzlich Krankenversicherte.Auch Hausbesuche der Ärzte sind keine Alternative

Betroffen sind aber nicht nur Senioren. Geh- oder sehbehindert kann jeder sein. Hinzu kommen ambulante Versorgungen nach kürzeren Krankenhausaufenthalten. Die Morbacher Hausärzte-Praxis Sauer-Kühne-Musial stellte im vergangenen Jahr 84 Patienten für 218 Fahrten Beförderungsscheine aus. Die "zumutbare" Grenze ist auf zwei Prozent (bei chronisch Kranken ein Prozent) des Jahreseinkommens festgesetzt - ohne Aussicht auf Sozialhilfe-Ausgleich."Wenn der Arzt etwas nicht verordnet, dürfen wir diese Leistung nicht gewähren", so die Sozialabteilung der Kreisverwaltung. Bleibt die Hoffnung auf Hausbesuche, was aber schwierig ist. Denn abgesehen davon, dass bestimmte Untersuchungen nur in der Praxis möglich sind, müssen sich die Ärzte bei der Visiten-Häufigkeit an einem landesweiten Durchschnitt orientieren - unabhängig von der Arztdichte. Liegt die Zahl weit höher, so Dr. Folker Musial, riskiert der Arzt, dass die Kassenärztliche Vereinigung die Leistung nicht bezahlt. Leidtragende seien ältere Patienten auf dem Land. Mittlerweile gebe es sogar Lücken in der medizinischen Versorgung. Musial: "Eine Landflucht wie im Mittelalter."Sein Kollege Dr. Wolfgang Sauer sieht auch die Negativseite der bisherigen Fahrtkosten-Regelung: "Das ist ja auch ein Punkt, der Jahrzehnte lang missbraucht wurde." Dennoch gilt seine Sorge den Härtefällen dieser Reform. Ähnlich äußert sich ein Augenarzt von der Mosel. Es sei ärgerlich gewesen, wenn ein Patient mit schweren Einkaufstüten einen Beförderungsschein wollte. Doch: "Wir haben viele alte Patienten, die Gehschwierigkeiten haben - da werden wir Probleme bekommen."Der Taxiunternehmer Thomas Priwitzer aus Bernkastel-Kues befürchtet, dass manche Patienten bald vor der Alternative stehen, nicht zum Arzt zu gehen und zu sterben oder zu verhungern, weil das Geld fehlt.

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