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WITTLICH-NEUERBURG. Vor vielen Jahren schon machte sich die Kindertagesstätte im Wittlicher Stadtteil Neuerburg auf den Weg zur Bildungseinrichtung. Deshalb erhält sie in den Zeiten nach Pisa häufig hohen Besuch. Nun wurde sie sogar für ein bundesweites Projekt ausgewählt.

Dass Bildung nicht erst mit dem Eintritt in die Schule beginnt, darüber sind sich Fachleute längst einig. Doch der Weg hin zu dieser Erkenntnis, die anderen Ländern weit bessere Pisa-Ergebnisse beschert als Deutschland, war ein langer. Endlich sind die Kindergärten auch hier dem Bildungsministerium unterstellt. Gewerkschaftlerin Ernie Schaaf-Peitz, Leiterin der Kindertagesstätte Neuerburg, war eine der Vorkämpferinnen. Inzwischen erhält die Kita regelmäßig Besuch: aus anderen Kitas, aus dem Bildungsministerium von Rheinland-Pfalz und aus Luxemburg. Im Rahmen einer bundesweiten Ausschreibung wurde sie vom Deutschen Jugendinstitut ausgewählt, am Projekt "Bildungs- und Lerngeschichten" teilzunehmen.Die Kinder bilden sich selber weiter

Dabei geht es um die Verbreitung eines Verfahrens, das sich für die individuellen Lernprozesse von Kindern einsetzt: Durch Beobachtung jedes einzelnen Mädchens und Jungen und durch die anschließende Dokumentation werden Lernprozesse deutlich. Denn jedes Kind will lernen, davon sind die Neuerburger überzeugt, es brauche lediglich ein förderliches Umfeld, Anregungen und eine einfühlsame Begleitung. "Dies ist ein positiver Ansatz", so Schaaf-Peitz. "Wir schauen uns an, was das Kind schon alles kann, und sagen nicht: Dies und das fehlt noch." Gezielte Unterstützung hilft dem Kind dabei, die eigenen Stärken zu entdecken, zu vervollkommnen und ein gesundes Selbstbewusstsein zu entwickeln. Die Dokumentation stärkt weiterhin die Kommunikation zwischen Kindern, Eltern und dem Kita-Personal, das sich zu Fortbildungen verpflichtet hat. Und sie leistet den Bildungs- und Erziehungsempfehlungen Folge, die das Land 2004 herausgegeben hat.

Die offene Pädagogik der Neuerburger Einrichtung schafft die nötigen Freiräume für individuelle Entwicklungen. "Es ist mehr eine Haltung als eine Theorie", so die Leiterin. Das Kind bilde sich selbst weiter, es könne gar nicht anders. "Wir füllen das Kind nicht mit Wissen ab." Die alte Pädagogik gibt geschlossene, festgefügte Räume und Zeiteinheiten vor. Dagegen werden im offenen Ansatz Werte vermittelt, ohne die das Leben arm bleibt: Eigenverantwortung, Selbstständigkeit und Verlässlichkeit zum Beispiel. Das Kind lernt: Ich entscheide gewisse Dinge selbst, und dann stehe ich dazu und führe sie aus.

Ein Beispiel ist das Projekt der Schulkinder. Lange schon hatte man ein selbst gebautes Lehmhaus im weitläufigen Kita-Freigelände. Das wollten sie nicht nur ausbessern, nein, sie wollten zusätzlich andere Materialien ausprobieren, um zu erkennen: Was hält am längsten, was lässt sich am leichtesten verarbeiten, was ist für Kinderhände überhaupt geeignet? Folglich blieben zwei Wände aus Lehm stehen, die die Kinder ausbesserten, die zweite zimmerten sie aus Holz, die dritte mauerten sie aus Ziegeln. Im Inneren verlegten sie Platten. Da hieß es clever vorgehen. Der erste Gang führte so in die Bücherei, wo Literatur über Fragen Aufschluss gab: Was brauchen wir, wo bekommen wir es her, wie verarbeiten wir es? Auch dieses Projekt wurde dokumentiert. Ein richtiges Buch kündet von dem Spaß, den das Team "Schulkinder" bei seiner Arbeit hatte. Vom Erfolg kündet das Haus. Kein Tag vergeht, an dem es nicht von den jüngeren Kollegen genutzt wird - und weiterentwickelt, neuerlich zum Beispiel um eine gemauerte Feuerstelle. Da bewahrheitet sich ein anderer Glaubenssatz der Kita: "Räume sind Miterzieher."

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