Bis eine Jungfrau ihn erlöst …

BERNKASTEL-KUES. Da staunte so mancher Passant, der über die Moselbrücke schlenderte. Helfen hier etwa junge Bürger, den Stadtsäckel schonen, indem sie auf der Verbindung der beiden Stadtteile freiwillig den Besen schieben und für Sauberkeit sorgen?

Und angefeuert wird der Kehrer sogar von einer Gruppe Gleichaltriger, die es sich bei heißen Getränken gut gehen lassen. Bei genauem Hinsehen scheint selbst dem Brückenfeger die Arbeit Spaß zu machen. Klar doch. Er fegt nämlich, um einen alten Brauch zu pflegen.Seit ein paar Jahren kümmern sich junge Leute darum, dass diese nette Sitte nicht in Vergessenheit gerät: Wer als gebürtiger Bernkastel-Kueser vor dem 30. Lebensjahr nicht vor dem Traualtar stand, muss die Brücke fegen - "vorne fängt er an, bis eine Jungfrau ihn erlöst von seinem Bann".Woher stammt der Brauch?

Wo der Brauch allerdings seinen Ursprung hat, konnte bisher keiner sagen. Auch gebürtige alteingesessene Bernkastel-Kueser, die sich mit Heimat- und Stadtgeschichte beschäftigen, haben auf TV -Anfrage nie etwas von einer solchen Tradition in ihrer Heimatstadt gehört.Vermutlich stammt der Brauch des Kehrens aus dem norddeutschen Raum. Dort findet man noch die Sitte des Fegens für 30-jährige ledige Burschen, die für Sauberkeit auf Dorfplätzen sorgen müssen. Irgendwann wurde der Brauch von dort wohl importiert.Auf der Moselbrücke hat es in diesem Jahr Uli Lang aus Kues "eiskalt" erwischt. Und das im wahrsten Sinne des Wortes, denn just zu seinem Kehr-Termin hatte bei frostigen Temperaturen Schneefall eingesetzt.Die Freundesschar wartete bereits mit Besen und einer Ladung "Dreck" auf den Auserwählten. Uli Lang nahm erst mal einen kräftigen Schluck aus der "Gute Laune Tasse", und dann hieß es den Schnee und Dreck beiseite kehren.Der Dreck aber wurde immer wieder von den Umstehenden in einem Karton aufgefangen und erneut ausgeschüttet - so wiederholte sich das Kehr-Spielchen unzählige Male. Uli Langs Blicke konzentrierten sich aber nicht nur auf den Besen: Schließlich musste er nach einer Jungfrau Ausschau halten. Seine Augen wanderten begierig auf und ab - galt es doch, ein weibliches Wesen zu erspähen, das bereit war, ihn mit einem Kuss zu erlösen. Und was im Märchen möglich ist, das müsste doch auch im wahren Leben gelingen, dachte sich der Feger.Was des einen "Leid", war der anderen "Freud": Die Freunde vergnügten sich mit flüssigen Aufwärmern, und ließen Uli nicht in der Kälte frieren, dem sie immer wieder einschenkten. Wie glücklich muss doch der sein, der im Sommer kehren darf.Von dieser lustvollen Tätigkeit kann auch Wolfgang Koch ein Lied singen. Vor rund fünf Jahren gab es für den damals 30-jährigen Junggesellen auch kein Entrinnen. "Doch es hat riesig Spaß gemacht und erlöst wurde ich auch", lacht Koch. Und wie erging es dem rasanten Feger Lang? Auch er musste nicht allzu lange den Besen schwingen, bis ihn endlich eine "Jungfrau" frei küsste.

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