Bürgermeister, Brandbomben, Bagger

WITTLICH. Der Mann ist überrascht. Er öffnet ein Fenster, Wittlich liegt zu seinen Füßen, er greift zum Fernglas: "Schade, das Haus ist aus dieser Perspektive ganz verdeckt." Carl Schumacher suchte gestern das Haus Schumacher, als es gerade abgerissen wird.

Das Haus, das sein Großvater Carl einst erwarb und das seither den Namen der Familie Schumacher trägt, hat er schon einmal zerstört gesehen: "An Heilig Abend 1944 sind die Brandbomben gefallen. Ich war damals bei der Ardennenoffensive dabei und durfte mit dem Krad nach Hause fahren. Die Trümmer dampften noch. Ich war entsetzt." Später fügt er an. "Damals waren meine Eltern der Meinung, sie hätten das schönste Haus von Wittlich." Als Erinnerung geblieben sind ein paar gerettete Teppiche und der Feuerkorb aus dem Kamin, der nicht geschmolzen ist. Vier Wochen soll das Haus eine Feuerstelle gewesen sein. Nach dem Bombardement war es mit dem stolzen Gebäude, das Bürgermeister Bottler vor rund 150 Jahren bauen ließ, als Wohnhaus für die Familie vorbei. Jetzt sind seine Tage endgültig gezählt. Carl Schumacher: "Ich bin froh, dass es weg kommt. Es ist ein Schandfleck, wie es da stand, die Fenster wie die toten Augen der Kleopatra. Jetzt können die Architekten endlich zeigen, was sie können." Seine Frau Franziska erinnert sich noch gut an die Zeit nach der Kriegszerstörung: "Der Verkauf begann zunächst in einer Baracke. Und irgendwann wurden bis zu tausend kleine Geschäfte beliefert. Die Wagen sind bis ins Saarland gefahren." Ihr Mann nickt: "Ja, in jeder Ecke saß damals jemand, der handelte." Und das Handeln, das war schon das Geschäft des Großvaters, der das stattliche Bürgermeisterhaus zum Haus Schumacher werden ließ. Dieser Mann muss nicht nur ein angesehener sondern auch beliebter Wittlicher gewesen sein. Franziska Schumacher zeigt eine Zeitung von 1924: Die ganze vergilbte Seite voll ehrender Nachrufe. Auch er trug den Namen Carl. Und dieser Wittlicher war nach Gründung der Freiwilligen Feuerwehr der Stadt 1902 nicht nur Oberbrandmeister. Seit 1898 hatte er sich auch mit seinem Lebensmittelgroßhandel einen Namen über die Grenzen der Stadt hinaus gemacht. Seine Colonialwaren hatte er damals noch mit dem Hundewagen ausgefahren. Sein Enkel Carl, der zunächst Mathematik und Physik in Bonn studierte, sollte der letzte Geschäftsführer sein, der später die Firma noch für die Wittlicher Familie vertreten hat. Und dieser Enkel erinnert sich heute: "In den 50ern war das Haus nur noch als Lager zu gebrauchen. Die Seite zur Stadt war ja total weg. Sie wurde einfach hochgezogen und Eisenbahnschienen dienten als Etagenträger." Überhaupt, die Eisenbahn, deren Spuren heute verschwunden sind: "Durch die Bahn hat das Haus eine große Entwertung erfahren. Die Adresse war einmal Schloßplatz drei. Durch die Schienen wurde der geteilt."Und derweil kam in dem Elternzimmer hinter dem markanten "Schönheits-Balkon" zur Kurfürstenstraße hin Carl (nach dem Urgroßvater der vierte mit C), auf die Welt. Das war 1921. Doch lange frohe Kindertage hat der Erstgeborene nicht im Haus Schumacher erlebt. Er kam ins Internat nach Bad Godesberg und war fortan in seiner Jugend nur in den Ferien in Wittlich.Den Lebensmittelgroßhandel in der Stadt sieht er ohne Nostalgie: "Da gab es getrocknete Erbsen, Kaffee, kein frisches Obst! Ein richtiger Krimskramsladen war das, nur größer." Sogar Rosenkränze aus Himmerod gehörten zum Sortiment. Als die Firma in das Industriegebiet umzog, dort wo heute Edeka und Extra sind, wurde das Haus 1964 an die Stadt verkauft, die Vorkaufsrecht hatte. Die Unterschutzstellung 1982 ist dem Enkel unverständlich: "Da war doch nichts denkmalwürdiges dran. Die Seite zur Stadt hin etwa besteht praktisch nur aus aufeinandergelegten Steinen."Vielleicht ist das legendäre Haus ja noch für eine Überraschung gut.Carl Schumacher erinnert an die Ruine vor 60 Jahren: "Da haben wir Uniformteile gefunden. Und vielleicht werden sie heute französische Skelette finden und noch mehr Uniformknöpfe."

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