Das Ende des Schweigens?

WITTLICH.Ein voller Erfolg: Die Diskussion zu Film und Buch "Starbuck Holger Meins" lockte mehr als 100 Menschen an. Sie blieb nicht stehen beim Blick zurück, auch die Gegenwart war Thema.

 Auch nach der Veranstaltung noch reger Austausch: Gerd Conradt beim Signieren.Foto: Christine Catrein

Auch nach der Veranstaltung noch reger Austausch: Gerd Conradt beim Signieren.Foto: Christine Catrein

Dienstag,kurz vor 19 Uhr im Wittlicher Kino Kintim. Eine Karawane setztsich in Bewegung. Mehr als 100 Menschen - viele junge, aber aucheinige ältere, ein paar rastagelockte, aber auch vieledurchschnittlich modisch geschorene - ziehen vom kleinen in dengroßen Kinosaal um. Freude und Erstaunen sowohl beim Kinobesitzerals auch bei Regisseur Gerd Conradt. Mit dieser Resonanz hattekeiner gerechnet. Film und Buch "Starbuck Holger Meins" stehen auf dem Programm sowie eine Diskussion mit dem Autor und Regisseur Gerd Conradt über das Thema, das in Wittlich bislang kein Thema war: Über den RAF-Terroristen, der am 9. November 1974 nach einem Hungerstreik im Wittlicher Gefängnis starb, wurde in der Vergangenheit hier kaum gesprochen.

Sehnsucht, Verzweiflung und Erfüllung

Im Film erzählen der Vater, Mitstudenten und Dozenten von der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin, und die RAF-Terroristin Margrit Schiller wie sie Holger Meins erlebt haben. Es entsteht ein facettenreiches Bild: sensibel und konsequent, schwierig, verschlossen, geduldig. "Der Film ist ein Kaleidoskop. Sehen Sie durch und machen Sie sich ein eigenes Bild", ermuntert Conradt das Publikum. Er wolle anregen, sich mit der Zeit zu beschäftigen, mit der Sehnsucht, der Verzweiflung und der Erfüllung, die Holger Meins vielleicht sogar auf seinem Weg in den Tod gefunden habe.

Ihn treibt die Frage um, warum solch ein kreativer Mensch diesen Weg wählt und wie die genauen Umstände seines Todes waren. Wer in diesem Punkt endgültige Antworten erwartetet, wird an diesem Abend enttäuscht. "Ich habe versucht, mit den Gefängnisangestellten und dem Arzt zu reden. Die wollten nicht. Vielleicht ist die Zeit noch nicht reif."

"Ich denke, dass es an der Zeit ist, über das Thema zu reden", sagt eine Frau im Laufe der Diskussion, die zögerlich anläuft, dann aber deutlich an Fahrt gewinnt. Bibliotheksleiterin Ute Scheid, Mitorganisatorin der Lesung, hatte zuvor für Verständnis plädiert, da die Medien die Betroffenen regelmäßig an Jahrestagen bestürmten. Die Besucherin entgegnet: "So lange nichts gesagt wird, wird es immer wieder Nachfragen geben."

Ein Mann wirft ein: "Ich denke, da ist auch noch Angst. Der Arzt wurde sechs bis sieben Jahre nach dem Tod von Meins bewacht." Ansonsten sei dieser ein ganz liebenswürdiger Mann, der liebevoll von seinen Patienten gesprochen habe.

Die Frage "Wo ist der Nachlass von Holger Meins?" führt Conradt zu weiteren Problemen bei der Recherche. "Es gibt Zensur auf beiden Seiten." Die RAF habe interne Dokumente genauso wenig rausgegeben wie die Behörden die Todesermittlungsakte, doch diese werde nach 30 Jahren, also 2004, frei. Bei den Geschwistern sei bei Umzügen einiges vom Nachlass verloren gegangen.

Die Diskussion löste sich auch von dem Blick zurück. Eine Diskussionsteilnehmerin stellt fest: "Der Staat hat damals überreagiert. Aber auch heute werden Leute, die bei einer Demo was geworfen haben, gleich kriminalisiert und fangen durch den Druck an, sich weiter in die Sache reinzusteigern." Sie äußert Verständnis für den Hass der Terroristen und meint: "Kein Wunder, wenn man sieht, wie gewalttätig die Polizisten waren." Damit widerspricht sie der Bibliotheksleiterin, die mit dem völligen Unverständnis für den Hass dieser "gebildeten Menschen", den sie in ihrer einleitenden Rede gezeigt hatte, einige Zuhörer provoziert hatte.

Noch viele Themen werden an diesem Abend aufgegriffen. Am Ende der Diskussion ist die Stimmung eindeutig. Auf die Frage, ob solch eine Veranstaltung wieder stattfinden sollte, gibt es viel Zustimmung.

Kinobesitzer Patrick Mais reagiert prompt. Er plant weitere Vorführungen auch für Schulen am Vormittag und zwar ab Aschermittwoch.

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