Das Leben neu ordnen

BERNKASTEL-KUES. Überall im Kreisgebiet werden Fastengruppen angeboten. Begleitet von leichten gymnastischen Übungen ist das Fasten für seine Anhänger ein Jungbrunnen für Körper, Geist und Seele.

 Der erste Bissen nach dem Heilfasten: In den Gruppen von Elisabeth Schoppe ist das traditionell ein Bratapfel.Foto: Petra Geisbüsch

Der erste Bissen nach dem Heilfasten: In den Gruppen von Elisabeth Schoppe ist das traditionell ein Bratapfel.Foto: Petra Geisbüsch

An sichgehört das Fasten zu den ureigensten christlichen Traditionen.Nach Jahrzehnten, in denen es völlig aus der Mode gekommen war,erlebt es derzeit eine regelrechte Renaissance. Der Verzicht aufAuto, auf Wein oder Bier, auf Zigaretten oder Schokolade gehörtin den vergleichsweise erträglichen Bereich des Fastens. Zurboomenden Branche entwickelt sich auch im KreisBernkastel-Wittlich gerade das rigorose Heilfasten. Meist wird esin den Pfarreien angeboten und erstreckt sich über einen Zeitraumvon mindestens einer Woche. In der Pfarrei St. Nikolaus Traben-Trarbach wird die Gruppe von Cornelia Bockelmann, der Vorsitzenden der katholischen Frauen, geleitet. Sie selbst fastet zum fünften Mal. Als Allergikerin tue ihr das einfach gut, sagt sie. Es geht ihr nicht ums Abnehmen, im Gegenteil: Sie nimmt eher zu viel ab. Ab kommenden Samstag treffen sich die Teilnehmer jeden Abend und machen gemeinsam die begleitenden Pilates-Übungen. "Ganz in der Tiefe werden so die Muskeln bearbeitet", so Bockelmann. "Das stärkt Körper, Geist und Seele."

Entlastungstage als Einleitung

Bald beginnt auch eine Heilfastengruppe in Manderscheid. Pastor Michael Jaster findet den Austausch untereinander wichtig. "Die Gruppe bietet Rückhalt." Deshalb stellt sich Jaster auch in diesem Jahr der Herausforderung. Zum ersten Mal wird er selbst als Leiter fungieren. Treffpunkt für alle, die sich trauen wollen: heute, Freitag, 17 Uhr, im Pfarrheim.

Die kalorienlose Zeit bereits hinter sich haben jene, die mit der Wittlicher Rheumaliga unter Elisabeth Schoppe gefastet haben. Die lange Woche wird mit zwei bis drei Entlastungstagen eingeleitet: Tage, in denen wenig und gezielt nur noch leichte Kost gegessen wird, um den Darm sanft darauf vorzubereiten, dass er sich nun völlig leeren darf. Zum Abführen benutzen die Teilnehmer Glaubersalz, nach dessen Genuss alle anderen Familienmitglieder die Toilette erst mal eine Weile freihalten sollten. Dann wird es ernst: Sieben Tage lang kommt nur noch Flüssiges auf den Tisch. Wasser, am besten warmes, Kräutertees, am besten ungesüßt, und einmal am Tag eine warme Brühe. Am besten aus eigens dafür ausgekochtem Gemüse, das selbstverständlich anschließend ein anderer essen sollte. Erlaubt ist auch hier und da ein Gemüse- oder Obstsaft, aber in Maßen. Daneben viel Bewegung an frischer Luft, wer berufstätig ist, arbeitet normal weiter.

Nach einer Woche haben die die Teilnehmer es geschafft: Mit unwiderstehlich duftenden Bratäpfeln beginnen sie langsam wieder zu essen. Fastenbrechen heißt die Zeremonie . Noch einmal geht der Stein reihum, der jeden Abend die Runde gemacht hatte. Wer ihn in der Hand hält, teilt den anderen alles mit, was ihn bewegt. Denn Fasten ist zwar eine ernste Sache und die Motivation dafür oft eine medizinische oder religiöse, aber: Es macht auch Spaß.

So viel Spaß, dass einige nach der Woche noch ein paar Tage weiter machen. Die mit 70 Jahren Älteste der Runde ist begeistert: "Ich kann wieder eine Faust machen!" Für Rheumakranke ist das keine Selbstverständlichkeit. "Rheuma ist auch eine Krankheit der Übersäuerung", klärt Elisabeth Schoppe auf. Dagegen hilft: Heilfasten. Diabetiker profitieren ebenfalls: Albrecht Brieses Blutzuckerwerte haben sich deutlich verbessert. Auch Martha Mussweiler ist Diabetikerin. "Trotzdem hat es wunderbar geklappt", sagt die Dame, die in Sachen Abnehmen am erfolgreichsten war: Sieben Kilo hat sie in einer Woche verloren. Sie betont das Loslassen-Können als erreichtes Ziel. In diesem Punkt sind sich alle Teilnehmer einig: Fasten erstreckt sich nicht nur auf die materielle Seite des Menschen, sondern auch auf die spirituelle. Fasten wird als Chance begriffen, neue Wertigkeiten zu erkennen oder auch alte wieder zu erkennen.

"Heilfasten ist viel mehr als eine technische Anleitung", dankt abschließend Alois Debald, Neuling der Truppe. Auch er ist froh über seine verlorenen Pfunde, denn bisher scheiterte jede Diät, "weil die Einheit von Körper, Geist und Seele beim reinen Kalorienzählen ignoriert wird". Der Halt in der Gruppe, die begleitenden Atem- und Gymnastikübungen, der offene Austausch: Erst beim strengen Heilfasten fand sich Debald als Mensch in all seiner Vielschichtigkeit berücksichtigt - und hielt durch.

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