Das verschollene Kirmes-Kuriosum

WITTLICH. Mattgold auf flaschengrünem Fuß überragte er die Feiernden, thronte Jahrzehnte lang zur Säubrennerkimes an der Seite des Alten Rathauses. 1993 gab es plötzlich einen neuen Weinpokal. Als der im vergangenen Jahr verschwunden war, vermissten ihn viele, denn er ist ein Kirmessymbol der ersten Stunde. Das Original hat Willi Schrot 1950 geschaffen.

Seinen 55. Geburtstag hat er nicht mehr erlebt, der 4,20 Meter hohe Pokal. Dabei ist sein Schöpfer, Willi Schrot, überzeugt: "Der könnte heute noch stehen. Ich hätte ihn damals gerne umsonst geflickt." Doch 1993 musste das Unikat abdanken. Wohin es kam, das weiß sein Schöpfer nicht. Für 17 000 Mark gab es ein neues Exemplar aus Kunstharz. 2004 fehlte es beim Fest der Feste. Der Sockel habe Risse gezeigt, sagt die Stadtverwaltung. Weil der Fuß mit Wasser gefüllt für Standsicherheit sorgen sollte, habe man kein Risiko eingehen wollen: Die Kirmes fand erstmals ohne Weinpokal statt. Dazu der Kommentar einer weiteren Kirmes-Institution, des Stadtschreibers (alias Detlef Boor): "Als eine Instanz der Traditionsbewahrung, zwar nicht alles und um jeden Preis, bedaure ich das Verschwinden des Pokals, der die Volksfestfreude der unmittelbaren Nachkriegszeit repräsentierte. In einer Zeit der Übersättigung könnte er der Rückbesinnung auf einfache Freuden ein Gesicht verleihen." Was nun? Die erste Nachricht: Der Pokal ist repariert und kehrt zurück. Die zweite Nachricht: Am Alten Rathaus ist kein Platz mehr für ihn - wegen des Mischpultes. "Dieses Jahr wird er vor der Treppe der Alten Posthalterei stehen", sagt Leo Kappes von der Stadtverwaltung. Wittlichs Ehrenbürger und handwerklicher Vater des Originals hat zur Standortfrage eine klare Meinung: "Der gehört genau da hin, wo er immer stand und nichts anderes." "Sein" Pokal kam vor 55 Jahren nach zwei Tag- und Nachtschichten zur Welt. "Am Mittwoch vor der ersten Kirmes kamen Matthias Mehs und Aloys Zapp aufgeregt zu mir in die Werkstatt. ‚Du musst alles stehen und liegen lassen. In der Beschäftigung mit der Saubraterei haben wir ganz vergessen, dass wir auch noch einen Weinpokal brauchen.‘ Ich ging, holte ein Weinglas mit Fuß, wir projizierten die Form auf den Fußboden der Werkstatt, verglichen bis sie den richtigen bauchigen Schwung hatte. Als die Form feststand, ging die Materialsuche los. Das Stahlgerüst konnte ich selbst machen. Dann fehlte Holz." Doch Matthias Mehs erinnerte sich an eine ausgediente Holzbaracke. Sie lieferte die Bretter. Und der Tabakkaufmann Aloys Zapp vom Verein für städtische Interessen hatte noch von Tauschgeschäften Konservendosenblech. Kurz: Willi Schrot arbeitete durch, am Samstagmorgen wurde sein Werk aufgestellt, Kostenpunkt des Einzelstücks: 300 Mark. In einem Beitrag zum 40. Geburtstag der Konstruktion schrieb er: "Es sprach sich schnell herum, dass in unserer Werkstatt ein komisches Monstrum im Entstehen sei. Den neugierigen Fragern, die nicht wahrhaben wollten, dass aus den einzelnen Teilen der neue Kirmespokal entstehe, gab ich schließlich die Auskunft, es seien Teile des neuen Klausener Zwiebelturms, und damit gaben sie sich zufrieden." Feuerwehrschlauch als Kindersicherung

Das Konservenblech gab ihm die bauchig-geschwungene Außenlinie, durch Spannschrauben wurde das Werk in der Erde verankert. Zum Auf- und Abbau konnten Kelch und Fuß getrennt werden. Laut Schrot ist dabei auch sein "Kirmes-Meisterstück" zu Schaden gekommen: "Er ist beim Abmontieren über den Markt gerollt, bis dahin, wo heute Lütticken ist." Zum Nachfolge-Modell sagt er: "Ich habe mir damals sehr viel Mühe gegeben, die richtige Form zu treffen. Der neue Kelch ist kreisrund, das ist gar keine richtige Kelchform." Sicherheit spielte übrigens auch zur Premiere 1950 eine Rolle. Willi Schrot: "Zuletzt stellten wir fest, Kinder könnten sich am Blech des Fußes verletzen. Der Feuerwehrchef Matthias Josef Dresen hatte gerade beschädigte Schläuche aussortiert. Die nagelten wir als Clou herum. Das Ganze hielt über 40 Jahre."

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