Der steile Weg zur Macht

WITTLICH. Hannelore Kaspari, Obermöhne, ordnet Plastikteller. Die spielen eine wichtige Rolle: 400 Liter Erbsensuppe sollen unters Volk, wenn der große Coup gelingt: Die mit weiblicher List geplante Rathauserstürmung.

Hut - oder besser Narrenkappe - ab für die Wittlicher Möhnen. Sie scheuen weder Gefahr noch Obrigkeit für ihr Ziel: Die Macht über die Säubrennerstadt. Während auf dem Markt schon geschunkelt wird und sich immer mehr Perückenträger zusammenrotten, trinkt Bürgermeister Bußmer hoch oben im Alten Rathaus erstmal einen Tee. Der geplante Umsturz ist ihm zu Ohren gekommen.Mit Schirm, Charme und Spitzenwäsche

Er setzt auf abschreckende Bekleidung, kariertes Hemd, Schlips mit wildem Rautenmuster und: Hosenträger. "Ich weiß gar nicht, was die Möhnen wollen. Dieses Jahr ist nichts zu holen. Wir haben ja nichts mehr auf den Knochen. Deshalb die Träger, die Hose darf nicht rutschen", erklärt Bußmer, noch hoffnungsfroh. "Prost Chef", muntert ihn Beigeordnete Elfriede Marmann auf, die sich verdächtig macht, trägt sie doch schon Luftschlangen ums Dekolleté! Überhaupt scheinen die Frauen an Bußmers Seite ihren Genossinnen wohl gesinnt. Auch Stadträtin Irmgard Sitter trägt eine kampfeslustige silberne Flügelbrille und gibt sich fröhlich kichernd als Sympathisantin der Närrinnen zu erkennen. Doch Bußmer hofft noch auf sein spezielles transatlantisches Bündnis, das seine Liebste mobilisiert hat: 14 Ladies von der Spangdahlemer Airbase wollen sich eine Art als "Host Nation Council Spezial" für den Verbleib des Bürgermeisters an der Macht solidarisieren. Es sollte vergebens sein. 11.11 Uhr platzt der Markt vor Menschen aus allen Nähten, das Möhnenlied ertönt, die Herren der Narrenzunft legen die Jacketts ab. In blendend weißen Hemden zu rotweißgestreiften Westen leisten sie den Aufrührerinnen Beistand: Die Leiter wird herangeschafft, ans alte Rathaus gelehnt, es geht zur Sache. Der halsbrecherische Coup beginnt: Mit Hütchen, Rock und Spitzenhöschen sowie lila Schirmchen lässt Hannelore Kaspari Erbsensuppe Erbsensuppe sein und erklimmt die Sprossen, kokett ihr Handtäschchen schwenkend. Das Volk prostet mit Glühwein zu und feuert die Eroberin mit Kreiau-Rufen an. Im Rathauszimmer beschließt Bußmer, sich auf einen geordneten Rückzug einzulassen und behält sich eine Kapitulation vor. Immerhin scheinen Hunderte Wittlicher angesichts lockend präsentierter Spitzenwäsche der Damen hoch über ihren Köpfen vergessen zu haben, dass es einmal so etwas wie demokratische Wahlen gab und unterstützen vorbehaltlos den kleinen Staatsstreich. Dann geht es für Hannelore Kaspari ab durchs Rathausfenster, während die nächsten Möhnen furchtlos ihre spektakulären Kletterkünste zeigen und den Eroberungszug vollenden. Als erste offizielle Handlung wird des Bürgermeisters schriller Schlips mit scharfem Schnitt vernichtet. Der Mann trägt derweil Narrenkappe, dann geht er noch des Stadtschlüssels verlustig. Der Sieg ist Möhnen-Sache. Jetzt gilt es nur noch, die Sympathisanten der Zukunft zu ködern: Bonbons regenen aus den Fenstern: "Kreiau!"

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