"Die Atmo ist hier nicht so gut"

LIESER. Presse-Anrufe, Radiointerviews und Tipps von allen Seiten: Nachdem das Weingut Sybille Kuntz am Mittwoch die freudige Nachricht vermeldet hatte, dass es mit 319 Grad Oechsle den Mostgewichtsrekord deutscher Riesling-Trockenbeerenauslesen gebrochen hat, herrscht im kleinen Weinörtchen ein sonst eher seltenes Medieninteresse.

 Mediengewandte Unternehmerin: Sybille Kuntz im Interview mit SWR-Reporterin Marion Barzen.Foto: Heike Lissen

Mediengewandte Unternehmerin: Sybille Kuntz im Interview mit SWR-Reporterin Marion Barzen.Foto: Heike Lissen

Dumpfe, wiederkehrende Schläge dringen aus einem kleinen Raum in der Weinkellerei des Weinguts Sybille und Markus Kuntz. Eine junge Frau mit Schürze und langem, rotblonden Pferdeschwanz und ein junger Mann mit orangem T-Shirt unter dem Blaumann und einer Mütze auf dem Kopf kleben Etiketten auf Weinflaschen. Danach stapeln sie geräuschvoll Kisten aufeinander. Hausherr Markus Kuntz gestikuliert und legt den Finger auf die Lippen. Denn seine Frau Sybille ist gerade mitten in einem Interview mit SWR-Reporterin Marion Barzen. Zwischen den großen Weinfässern und mit dem Mikrofon unter der Nase schwärmt die Unternehmerin von ihrem Rekordmost. Ohne zu holpern, oder sich zu versprechen. Als gebe sie jeden Tag derartige Interviews. Am Fass hinter ihr blubbert es leise aus dem Gärröhrchen, ein Geräusch, das Marion Barzen und ihr Kollege Lars Hoss vorher schon mal als O-Ton aufs Band aufgenommen haben. Damit die Radio-Hörer später auch noch ein bisschen mitkriegen, dass das Ganze sich auf einem Weingut abspielt. "Die Atmo ist hier nicht so gut", hatte Barzen direkt beim Betreten des Kellers festgestellt, was so viel bedeutet wie, dass außer dem Blubbern des gärenden Weins kaum ein Geräusch zu hören ist, dass die Atmosphäre des Ortes charakterisieren könnte.Schwieriger Gärungsprozess

Ein anderes Radioteam hatte schon am Vormittag im kleinen Weinörtchen Lieser Halt gemacht, den TV und weitere Medienvertreter hatte Sybille Kuntz am Tag zuvor mit Infos versorgt. Bei ihr und ihrem Mann sei die Nachricht, dass sie mit ihrer Riesling-Trockenbeerenauslese den deutschen Mostgewichtsrekord gebrochen haben, allerdings noch nicht richtig "reingesickert". 319 Grad Oechsle Fruchtzuckergehalt ermittelte das ABC Labor in Mülheim - der höchste Wert aller seit 1921 gemessenen Werte für die Rebsorte. "Ich habe jetzt auch schon einige Anrufe von weininteressierten Leuten oder Weinjournalisten bekommen", erzählt Sybille Kuntz. "Viele wollten uns Tipps geben, wie wir jetzt mit dem Most umgehen sollen." Angebote, die nur Schmunzeln bei den Weinbauern auslösen können, auch wenn sie selbst zugeben: "Das Schwerste ist jetzt, den Most ans Gären zu kriegen. Das ist ja so ein dicker Sirup, beim Oechslegrad-Messen hat das Gerät ihn kaum ansaugen können." Aber das Weingut Sybille Kuntz hat immerhin zehn Jahre Erfahrung mit Riesling-Trockenbeerenauslesen mit hohen Mostgewichten. Die Weinbauern zeigen sich optimistisch, dass sie auch diesmal ein Spitzen-Ergebnis erzielen werden. Auf ihren Rekord haben sie konsequent hingearbeitet, indem sie die Trauben gezielt separat hielten. Auch das Personal ist darauf geschult: "Unsere Mitarbeiter sind mittlerweile jedes Jahr Feuer und Flamme, den Rekord zu brechen. Man muss ein Auge dafür kriegen, welche Rosinen man rauspickt. Das hat dieses Jahr alles genau gepasst", erzählt Sybille Kuntz. Nur wenige Weinliebhaber werden jedoch in den Genuss des möglichen Spitzenprodukts kommen. "Wir haben aus der letzten Pressung, die dieses hohe Mostgewicht erzielt hat nur 25 bis 30 Liter gewonnen. Das tröpfelt nachher nur noch heraus", spricht die Unternehmerin ins Mikrofon. Danach ist das Interview beendet. Und während die Radioleute abziehen und in ihren Ü-Wagen steigen, wo der Beitrag geschnitten werden soll, geht die Arbeit im Weinkeller weiter. Die beiden Mitarbeiter des Weinguts haben sich von dem Trubel nicht beirren lassen und stapeln weiter Kartons.

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