Die Jugend ist nicht ahnungslos

BERNKASTEL-KUES. Sternstunde für die Demokratie: Eineinhalb Stunden diskutierten Schüler und Politiker über den Nationalsozialismus und warben gleichzeitig für eine Gesellschaft, in der jeder den anderen achtet.

"Ich bin stolz auf Euch und auf Eure Gedanken." Solche Worte aus Lehrermund hören Schülerinnen und Schüler selten. Die Zehntklässler der Hauptschule Bernkastel-Kues hörten sie sogar aus dem Mund von Rektor Dieter Stuff. Ursache für das Lob war die vorangegangene Diskussion und Präsentation zum Thema "Wider das Vergessen und für die Demokratie".In vielen rheinland-pfälzischen Schulen gab es am Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus Veranstaltungen, an denen Landtagsabgeordnete teilnahmen. In der Hauptschule Bernkastel-Kues waren dies Günter Rösch (SPD) und Alex Licht (CDU).Das Projekt umfasst mehrere Fächer

Auch die beiden erfahrenen Parlamentarier waren nach eineinhalb Stunden beeindruckt vom Engagement, Wissen und Wissensdurst der Teenager. "Schade, dass es so etwas nicht an allen Schulen gibt", sagte Günter Rösch.Die Schülerinnen und Schüler hatten sich einige Wochen lang im Deutschunterricht mit dem Nationalsozialismus beschäftigt. Das Projekt umfasste allerdings auch noch die Fächer Religion und Geschichte.Im Fach Deutsch wurden Texte des Dichters Erich Fried gelesen und besprochen. Die Schülerinnen und Schüler füllten diese Gedichte mit eigenen Gedanken aus. Im Religionsunterricht ging es unter anderem um die Schicksale der Geschwister Scholl und von Anne Frank. Im Geschichtsunterricht erhielten die Jugendlichen das nötige Hintergrundwissen. Per Computer wurden die wichtigsten Daten und Gedanken auch optisch aufbereitet.Ganz wichtig dabei: Die Schülerinnen und Schüler hatten sich die Thematik selbst ausgesucht. Die Diskussion mit den beiden Abgeordneten beinhaltete aber nicht nur einen Blick in die Vergangenheit, sondern war auch Plädoyer für die Demokratie.Dabei tauchte mehrfach die Frage auf, was in einer Demokratie möglich ist. Das Demonstrationsrecht sei wichtig, hieß es von den Schülern. Doch warum dürfen Neo-Nazis bei Demonstrationen andere Menschen verleumden oder Rassenhass verbreiten? "Das Recht gilt auch für diese Gruppen", sagte Günter Rösch. Gegenmaßnahmen müssten mit dem Recht abgestimmt werden. Dabei sei es manchmal schwer, zu gerechten Urteilen zu kommen."Man stößt immer an Grenzen, wenn man über Demokratie redet", sagt Alex Licht. Das Streben müsse dahin gehen, manche Entwicklungen frühzeitig zu unterbinden: "Eine gute Demokratie muss so etwas aushalten."Die Jugendlichen, auch das wurde in der Diskussion klar, verlangen von ihren Eltern klare Einstellungen und auch Autorität. Die Alarmglocken müssten sofort schrillen, wenn ein Jugendlicher plötzlich mit kahl geschorenem Schädel nach Hause komme, forderte ein Schüler.Beim Blick zurück blieben Schuldzuweisungen weitgehend aus. In einigen Texten kamen Fragen wie "Wie hättest Du gehandelt" und "Warum wurden Menschen denunziert" hoch. Doch es gab auch Antworten. "Morgen wird keiner von uns leben bleiben, wenn wir heute wieder verraten", heißt es im Text von Stefanie Pazen und Karina Nehren. "Wer sich für Freiheit und Unabhängigkeit einsetzt, kann verlieren. Wer nicht dafür kämpft, hat schon verloren", schrieb Marc-Peter Schmidt. "Jeder muss mithelfen, dass so etwas nicht wieder passiert", sagte Natascha Zimmer. "Wer glaubt, Demokratie sei Demokratie, der darf nicht zulassen, dass andere wegen Aussehen, Lebensart oder Kultur ausgestoßen werden", heißt es bei Radoslav Ganev und Michael Kiesch."Ihr sei schuldlos", sagte Günter Rösch, "aber ihr dürft keine ahnungslose Jugend sein." Alex Licht warb für Informationsfluss: "Die Leute müssen sofort diskutieren, wenn sich etwas entwickelt oder nicht entwickelt." So könnten Extreme vermieden werden.

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