Die Schönheit des Lott-Erlebens

Trau keinem über 30! So lautet ein Imperativ aus der 68er-Zeit. Beim Lott-Festival - am Wochenende 30 Jahre alt geworden - darf man da getrost eine Ausnahme machen. Rund 7000 Zuschauer zog das legendäre Mosel-Hunsrück-Festival nach Raversbeuren.

Raversbeuren. Samstag, früher Abend. Noch hat der Wald nicht die sinkende August-Sonne geschluckt. Eine Gruppe Jugendlicher liegt im Gras vor der Bühne. Ein bisschen Ruhe ist angesagt. Der Abend wird noch lang."Ich war noch bei keinem Festival mit einer so schönen Atmosphäre", schwärmt die durchaus festivalerprobte Kollegin nach dem ersten Rundgang über das Hang-Gelände. Ein Bollerwagen passiert. Ein Vater mit zwei kleinen Jungs. Ole - vielleicht drei Jahre alt - trägt ein oranges Shirt mit seinem Namen und einer Botschaft drauf. "Bitte nicht küssen", sagt es. Auf der Rückseite steht eine Handy-Nummer. Vermutlich die vom Vater. Sonst kennt man T-Shirt-Sprüche eher von älteren, vermeintlich lustigen Männern mit Kontaktschwierigkeiten, die um Küsse oder Schlimmeres regelrecht betteln. Auf der Lott wirkt jemand mit Chauvi-Spruch auf dem Wanst dagegen deplatziert. Dabei gibt es hier sonst fast alles. Denn es geht den Machern um Vielfalt, seit drei Jahrzehnten schon. Dort ein Gothic-Fan, komplett in Schwarz. Daneben Reggae-Freunde. Hier Metal-Anhänger, drei Meter weiter ein langhaariger Mittfünfziger im Batik-Look. An den Ständen werden Gitarren verkauft, Buddha-Bilder, bunte Tücher oder Amphibien aus Stein. Lott: Autark sind wir sind stark

Auf der Bühne sorgen die Dänen Indie-Rocker "The Broken Beats" für den passenden Soundtrack zum Kurz-Urlaub. Sänger Kim stößt auf die "Lott" an. Letztes Lied. Ein paar CDs würde der Däne gern verkaufen. "Wir sind sehr arm", gibt er zu bedenken. 15 Euro soll die CD kosten. "Zu teuer!", kontert einer aus der ersten Reihe. "Okay, dann nimm sie eben für zehn Euro", sagt Kim. Geht klar."Wir sind ja nicht super kommerziell", sagt Jürgen Moog von der Lott-Gesellschaft. Das ist gelinde gesagt untertrieben. Was bei der Lott an Überschuss gemacht wird, fließt in andere Kulturprojekte in der Region. Sponsorenwerbung gibt es auf dem Festival ohnehin nicht. Wer seine Kiste Discount-Bräu trotz günstiger Getränkepreise selbst mitbringen will, kann das machen. "Autark sein", sagt Moog - das war schon in den Anfangstagen des Festivals immer der Wunsch der Veranstalter. Drei Jahrzehnte ist das her. Moog war damals 18. Mittlerweile gehört der Traben-Trarbacher zwar zu den Älteren auf dem Festival. Aber auf der Lott fällt niemand zwischen 0 und 60 Jahren wegen seines Alters auf. Die Jüngeren sind zwar in der Überzahl. Aber längst nicht so wie auf anderen großen Festivals. Autark sein heißt auch: die Bühne gehört der Lott-Gesellschaft. Und die Mehrzahl der Besucher, diesmal rund 7000, kommen wegen des Festivals. Wegen der Kombination aus Gemeinschaft, Zelten, Musik oder einem kleinen Zirkus vor dem Eingang. Und nicht wegen der einzelnen Bands. Insgesamt spielen dabei 21 Gruppen an den drei Festivaltagen. Die Tex-Mex-Rocker Tito & Tarantula, die einst in Tarantinos Filmklassiker "From Dusk till Dawn" eine wichtige Rolle spielten, sind der Top-Act am Samstag. Davor sorgt die französische Band "Rue d'la Madeleine" mit einem wilden Mix aus Metal, Punk und Ska bei den Jüngeren für Pogo-Tanz vor der Bühne. Dass die Südafrikaner "Tribe after Tribe" ihren am Freitag geplanten Auftritt wegen Visumsproblemen des Sängers absagen mussten (stattdessen spielte "Urlaub in Polen") - das bedauerten manche. Aber ein Problem ist das nicht. Für Probleme ist die Lott auch definitiv das falsche Festival.

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