Die Stadt platzte aus allen Nähten

WITTLICH. (red) Seit das Wittlicher Schloss Philippsfreude im Jahre 1804 Stein für Stein abgetragen worden war, etablierte sich auf dem weitläufigen ehemaligen Schlossgelände, also fast in der ganzen Oberstadt, der Wittlicher Viehmarkt. Er war einer der größten und bedeutendsten im Mosel- und Eifelraum.

Vor dem Ersten Weltkrieg fanden monatlich zwei Vieh- und Schweinemärkte statt. Dann platzte die Stadt förmlich aus den Nähten. Denn neben dem Viehmarkt mit Groß- und Kleinvieh wurde jeweils noch ein Krammarkt abgehalten. Auf dem Marktplatz und seinen abzweigenden Nebenstraßen boten Händler Leder-, Woll- und Bäckerwaren sowie Erzeugnisse der Seiler, Sattler und Schmiede zum Kauf an. Fahrendes Volk, Viehhändler und Bauersleute waren in den Wittlicher Gassen zugegen. Es gackerte, meckerte, blökte, krähte, muhte und wieherte aus allen Ecken der kleinen, 4000 Einwohner zählenden Kreisstadt. Noch 1926 wurde der Wittlicher Viehmarkt regelmäßig abgehalten. Doch bald war es vorbei mit dem Marktgeschehen. Sowohl Nachfrage als auch Angebot schwanden immer mehr. Irgendwann zwischen 1927 und dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges erlebte die Stadt ein letztes Mal den Viehmarkt. In der Nachkriegszeit waren sowohl die Geschäfte als auch die Bäuche leer. Und so wurde der Wittlicher Viehmarkt wieder ins Leben gerufen. Noch am 23. November 1950 meldete das Wittlicher Tageblatt, dass der Markt großen Anklang finde. Mit der Neubelebung dieser jahrhundertealten Tradition wird es den Bewohnern der Stadt Wittlich und des Umlandes leichter gefallen sein, die schweren Zeiten des Mangels zu überstehen. Als es dann wieder aufwärts ging, verschwand der Viehmarkt nun für immer in der Versenkung. Der Ziegenbock im Bus, das war ein Anblick! Das ist meine Erinnerung an den Wittlicher Viehmarkt. Es war 1952, als ich eine Lehre in Wittlich anfing und mit dem Bus von Dreis nach Wittlich fuhr. Wir stiegen ein und wollten wieder auf unseren Platz hinten im Bus. Da saß ein älterer Mann und hatte einen Ziegenbock zu seinen Füßen liegen! Der Busfahrer sagt: "Der will zum Markt und ihn verkaufen." Das war eine Attraktion! Der Mann saß breit auf dem Rücksitz, und der Ziegenbock war ganz friedlich. Damals waren wir 14, 15 Jahre alt. Noch heute, wenn wir uns treffen, erzählen wir uns von dem Ziegenbock. Hätten wir doch ein Foto machen können! Als wir abends mit dem Bus nach Hause fuhren, hielten wir uns die Nase zu: Es stank immer noch nach dem Ziegenbock! Dieses Bild vergesse ich nie. Paula Heinen, Arenrath Als ich Sieben war, haben meine Freundin und ich nach der Schule auf dem Viehmarkt die Zeit verbracht. Auf dem Markt verteilt standen gemauerte Herde. In der Mitte war eine große Öffnung, in welcher ein Kübel über dem Feuer hing. Das Fressen für die Tiere war dann fertig, und wir durften bei der Fütterung helfen. Resi Schwab, Wittlich Vor Jahren habe ich einen Ausschnitt des Wittlicher Viehmarktplatzes geschnitzt, wie ich das als Kind in Erinnerung hatte, als ich mit meinem Vater in Wittlich war. In 50 Arbeitsstunden habe ich mit einem Stecheisen in Eichenholz geschnitzt. Dargestellt sind beispielsweise zwei Handelnde, die sich per Handschlag einig werden, drei sich beratschlagende Viehhändler, ein Mann mit Schwein im Arm oder ein Metzger, der gerade ein Schwein geladen hat, und mit Pferdewagen davon fährt. Auch ein Gendarm als Aufsichtsperson und ein streunender Straßenköter bevölkern meinen Viehmarkt. Karl-Josef Schenk aus Ürzig Mein Großvater war Metzger von Beruf, aber zu meiner Zeit war er es nicht mehr. Viele Juden waren Viehhändler, so auch mein Großvater. Ich erinnere mich auch an den Viehmarkt in Wittlich. Meine Großeltern und meine Tante Johanna haben dort Kaffee und Kuchen verkauft. Die Kuchenbleche waren doppelt so groß wie heutzutage. Ein Stück Kuchen kostete zehn Pfennige. Es gab Zwetschgenkuchen und einige Sorten Apfelkuchen. Die Menschen waren gesund und zufrieden mit dem wenigen, das sie hatten. Arthur Feiner, Centennial (USA)

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