Die Welt ist klein

WITTLICH. (peg) Zu einem weltweiten Reizwort hat sich die Vokabel "Globalisierung" entwickelt. Welche Gefahren und Chancen sich dahinter verbergen, verriet im Markushaus Dr. Wolfgang Kessler.

Kessler ist Chefredakteur der Zeitschrift "Publik-Forum". 1300 kritische Christen haben im Rahmen des eingetragenen Vereins "Leserinitiative Publik" die Trägerschaft über dieses Blatt übernommen, das die freie Meinungsäußerung in der Kirche sichern und für die Entrechteten auf dem Globus ein Sprachrohr sein will. Grüne, attac und die Leserinitiative hatten Kessler nach Wittlich geladen. Als einer von 6500 Ökonomen war der gläubige Katholik jahrelang beim Internationalen Währungsfond in Washington beschäftigt: "In einem der Epizentren der Globalisierung." Jetzt leitet er ein Pressebüro in Süddeutschland. Sein Vortrag sei ein journalistischer, kein wissenschaftlicher; der Inhalt stamme aus Recherchen der vergangenen 20 Jahre, so Kessler. Dabei achte er darauf, von existierenden Lösungsvorschlägen zu berichten. Kessler stellte zunächst sechs Thesen zur Globalisierung auf. Theoretisch könne inzwischen jede Arbeit von jedem an jedem Ort der Welt geleistet werden, was zu einer Zwei-Drittel-Gesellschaft führe: Ein Drittel hat keine oder zu wenig Arbeit, ein Drittel hat zu viel. Globalisierung gefährde die Demokratie, da transnationale Unternehmen Regierungen gegeneinander ausspielen können, in dem sie hier oder dort produzieren und somit hier oder dort Steuern zahlen. Zentrale Schutzmechanismen unseres Planeten seien inzwischen außer Gefecht gesetzt, was zum Ozonloch und der Klimaerwärmung geführt habe. Die Kluft zwischen Arm und Reich werde kontinuierlich größer: Die 225 reichsten Menschen der Erde besitzen so viel wie 47 Prozent der gesamten Menschheit. Das Beispiel Asienkrise verdeutliche, wie unkontrollierbar der Welt-Geld-Markt geworden sei: Auf den Börsen würden täglich 1200 Milliarden US-Dollar umgesetzt, 1160 Milliarden davon als reines Spekulationskapital. So können Millionen Menschen innerhalb weniger Wochen ihren Arbeitsplatz verlieren.Sinnvolle Gestaltung der Globalisierung

Außerdem fördere die Globalisierung den Kampf der Kulturen, denn auch kulturelle Werte würden in alle Winkel der Erde transportiert. Da keiner das Rad der Zeit zurückdrehen kann, geht es Kessler um eine sinnvolle Gestaltung der Globalisierung. Als Beispiel nannte er die seit 1992 durchgezogene, radikale Steuerreform Dänemarks: Dort hat man die Arbeitslosigkeit von zwölf auf vier Prozent gesenkt und verteilt aktuell einen Überschuss im Staatshaushalt. Oder der internationale FCKW-Fond, in den die Industrieländer jährlich 1,5 Milliarden Dollar einzahlen, der jedoch 1:1 von Industrie- und Entwicklungsländern verwaltet wird. Ergebnis: eine weltweite, drastische Absenkung der Produktion von FCKW; das Ozonloch über der Antarktis ist im vergangenen Jahr erstmals kleiner geworden. Wenn es der Politik gelingt, dem Kapitalismus weltweit soziale, ökonomische und demokratische Bedingungen abzutrotzen, sieht Kessler eine große Chance in der Globalisierung. Endlich diskutiere die Welthandelsorganisation über soziale Mindeststandards: Keine Kinder- oder Zwangsarbeit und Mindestschutz für Schwangere. Die Schweiz beweise, dass ein Sozialstaat auch mit der Globalisierung funktioniere. Hier zahlt jeder Mensch ab 20 Jahren in die Rentenversicherung ein, auch Selbstständige, Studenten, Hausfrauen, Lehrer und Beamte. Rentenbeiträge werden auf jedwede Art von Einkommen erhoben, auch auf Vermögenserträge. Selbst im Amerika Ronald Reagans habe man 1980 festgestellt, dass die 40 größten Unternehmen seit Jahren keinen Cent Steuern gezahlt hatten. Also führten die USA das Prinzip der Mindeststeuer ein, das Kessler flächendeckend für Europa fordert. "Es kann nicht angehen, dass in einer Stadt wie Offenbach die Einnahmen aus der Hundesteuer höher sind als die aus der Gewerbesteuer." Statt Eintritt baten die Organisatoren um eine Spende für die Bürgerinitiative gegen den Ausbau des Flugplatzes Spangdahlem und "Ärzte ohne Grenzen": 172 Euro kamen zusammen.

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