Die ersten Toten

Ich war damals achteinhalb Jahre alt und mit meiner Mutter und Opa allein. Das Wohnhaus war bei dem verheerenden Bombenangriff um die Weihnachtszeit unbewohnbar geworden, so hatten wir zwei Zimmer im Nachbarhaus.

Tagelang hörte man das Donnergrollen der nahen Front. Würden die Amis mit Panzern kommen, dann sollten sich die deutschen Soldaten absetzen. Aber es kam anders. Wir waren mit mehreren Familien im geräumigen Keller einer Brennerei. Etwa 15 Erwachsene und zwei Kinder. Der Raum war voller Betten gestellt, und es brannten nur Kerzen. Bei jedem Einschuss einer Granate ging das Licht aus. Alle beteten, sogar die, welche nie in die Kirche gingen. Nach Stunden riefen unbekannte Stimmen: "Kommt raus!", und es wurde in der Kellertreppe geschossen. Mit erhobenen Händen gingen wir nach oben. Meine Tante zuerst, die drei Männer hatten sich als letzte herausgewagt. Unsere Betten wurden für Verletzte benötigt, und wir mit erhobenen Händen ins benachbarte Haus gebracht. Der Ami hatte große Verluste, wie man später erfuhr, und auch großen Hass auf uns, weil deutsche Soldaten aus unseren Häusern schossen. Vor unseren Augen wurden sechs bis sieben Amerikaner von einem MG in unserem Garten umgemäht. Diese Bild werde ich nie im Leben vergessen, es waren die ersten Toten, die ich sah. Als es dunkel wurde, mussten wir wieder umsiedeln, in den alten Brennereikeller, dort wurden schwer verwundete Soldaten der Amis verarztet. Langsam ebbte der Kampflärm ab, aber bis der Morgen kam, waren Angst und Ungewissheit noch groß. Mein Opa, schon über 70, hatte mit einer Handbewegung am Kellerfenster angedeutet, das Haus stehe noch. Dafür musste er mit heruntergelassener Hose stundenlang im Kartoffelscheit und erhobenen Händen stehen. Die Amerikaner meinten, er hätte den deutschen Soldaten ein Zeichen gegeben. Leider war das Haus von einer Panzergranate genau im Wasserkranen getroffen worden und das ganze Treppenhaus gesprengt. Alle Einwohner wurden in sechs bis sieben Häuser eingesperrt, nur die Bauern durften ihr Vieh melken und füttern. Nach einigen Tagen gab es selbst gebackenes Brot, und eine Kuh wurde geschlachtet. Das Schlimmste war, wir Kinder durften die Scheune nicht verlassen, dabei hatte eine Tante immer erzählt, wenn die Amis kommen, gibt´s Schokolade und Kaugummi satt. Dieses Erlebnis vom Kriegsende schickte uns Leser Dieter Steffen aus Arzfeld. Erlebt hat er es als kleiner Junge in Großlittgen.

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