Die große Unbekannte

BERNKASTEL-WITTLICH. Der dramatische Einbruch bei der Gewerbesteuer setzt sich auch im laufenden Jahr fort. Das verschärft die ohnehin prekäre Haushaltslage vieler Kommunen und ruft die Bürgermeister auf den Plan: Ohne eine grundlegende Finanzreform, so der Tenor, drohe den Städten und Gemeinden die Handlungsunfähigkeit.

Wenn Kommunen in ihren Haushaltsplänen Summen für Gewerbesteuer-Einnahmen einsetzen, dann kommt das einem Lotteriespiel gleich. Wenn eine große Firma wegen Umsatzeinbußen kränkelt, sich in Tochtergesellschaften aufsplittet oder jede sich bietende Abschreibungsmöglichkeit nutzt, dann wird so manche Kommune gleich zum Fall für die Intensivstation. In Traben-Trarbach beispielsweise wird die Gewerbesteuer 2003 um voraussichtlich 573 000 Euro geringer ausfallen als im Etat veranschlagt (siehe dazu auch den Bericht auf Seite 10). "Wir schieben von Jahr zu Jahr eine Bugwelle vor uns her", stöhnt Stadtbürgermeister Alois Weber. Mit der Bugwelle sind die Haushaltsfehlbeträge gemeint, die spätestens im Jahr 2005 ausgeglichen werden müssen. Nur: Die roten Zahlen nehmen nicht ab, sondern steigen kontinuierlich. "Die Dramatik der gemeindlichen Finanzen ist der Öffentlichkeit nicht bewusst", glaubt Weber.Reine Wohngemeinden sind besser dran

Auch Wittlichs Stadtbürgermeister Ralf Bußmer kann nur noch von den fetten Gewerbesteuereinnahmen früherer Jahre und insbesondere von der Zuverlässigkeit dieser kommunalen Einnahmequelle träumen. Die Schwankungen sind erheblich: "Innerhalb von einer Woche kann diese Steuer locker mal 1,5 Millionen Euro hoch oder runter gehen", meint Bußmer. Neben den Firmen-bedingten Schwankungen sorgten auch die Umlagesätze von Bund, Land und Kreis für unvorhersehbare Hiobsbotschaften, wie jüngst der Anstieg der Kreisumlage gezeigt habe. Die Gewerbesteuer ist laut Bußmer nur ein Beispiel für das "marode System". Heute seien die Kommunen mit viel Industrie und Gewerbe oft schlechter dran als reine Wohngemeinden. Diese könnten wenigstens ohne Risiko mit ihrem 15-prozentigen Anteil an der Einkommensteuer kalkulieren. Für Bußmer ist es höchste Zeit, dass das kommunale Finanzsystem nach dem Vorbild des Konnexietätsprinzips ("Wer bestellt, bezahlt") reformiert wird.Kleine Firmen zahlen in der Regel nichts

"Kleine Firmen zahlen in der Regel keine Gewerbesteuer mehr", weiß Wolfgang Schmitz, Bürgermeister der Verbandsgemeinde Manderscheid, und größere nutzten - völlig legitim - jedes juristische Schlupfloch. Wenn die Steuer fließe, verbliebe bei der Sitzgemeinde gerade mal sieben bis acht Prozent der Einnahmen. Der Rest müsse als Umlage abgeführt werden. Wenn es nicht kurzfristig zu Korrekturen im gemeindlichen Finanzausgleichssystem kommt, dann werden die Kommunen handlungsunfähig, prophezeit Schmitz. Sein Kollege Hans-Dieter Dellwo (VG Thalfang am Erbeskopf) bemängelt ebenfalls die fehlende Kontinuität in der Veranlagung der Gewerbesteuer. "Kaum sind die Haushalte aufgestellt, sind sie auch schon Makulatur", so der Verwaltungschef. In Bundespräsident Johannes Rau finden die Bürgermeister einen prominenten Fürsprecher. Rau hat Bund und Länder in die Pflicht genommen und sie aufgefordert, die "Verschiebe-Bahnhöfe", auf denen Bund und Länder Lasten auf die Kommunen zurollen lassen, endlich stillzulegen.

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