Drehtür ist passé

BERNKASTEL-KUES. Seit knapp zwei Jahren können Menschen mit psychischen Problemen zusammen mit ihren Angehörigen das Caritas-Hilfezentrum im Leistner-Haus in Anspruch nehmen. Das Ziel: Betroffene sollen ihren Alltag wieder selbständig meistern lernen.

Auf dem Küchentisch steht bereits der fertig gebackene Streuselkuchen für das jeden Mittwoch stattfindende Kontaktcafé, die für heute eingeteilten Helfer räumen das gespülte Geschirr in die Schränke, während Einrichtungsleiter Christian Knopp rasch die letzten Reste seines Mittagessens hinunterschlingt. Improvisieren ist alles, scheint seine Gestik sagen zu wollen. Dabei wirkt der gelernte Diplompsycholge keinesfalls wie jemand, der leicht aus der Ruhe zu bringen ist. Im Gegenteil. Gelassenheit und eine Portion Humor lassen ihn als einen Menschen erscheinen, den kaum noch etwas zu überraschen vermag. In der wuseligen Wohnküche des Leistner-Hauses, in der Leute ständig kommen und gehen, Kaffee trinken oder kurz miteinander plaudern, ist nicht zu unterscheiden, wer Therapheut oder wer "Besucher " ist. Hier kann jeder vorbeischauen, der Lust dazu hat. Und der in der Lage dazu ist. Zivi Thorsten Reichart ist dafür verantwortlich, Besucher mit dem internen Wagen für ihre Therapien abzuholen und wieder zurückzufahren. Er findet's voll o.k. und schwärmt von dem internen Betriebsklima. Geregelter Tagesablauf ist enorm wichtig

Seit es das Leistner-Haus gibt, kann psychiatrische Hilfe aber endlich auch vor Ort gewährleistet werden. Gemeindenahe Psychiatrie nennt sich das. Sie erlaubt es den betroffenen Menschen, ihre gewohnte Umgebung beizubehalten. 18 Personen werden zurzeit im Projekt "Betreutes Wohnen" regelmäßig von einer Ergotherapheutin beziehungsweise Sozialpädagogin aufgesucht und individuell angeleitet, mit ihrem Alltag fertig zu werden. Ob dies nun der Weg zum Supermarkt ist oder das Ausfüllen eines Formulars. "Wir wollen weg von der Drehtür-Psychiatrie", so Knopp, "die die Menschen durch eine Rundumversorgung im Krankenhaus ihrer Selbständigkeit und Eigenverantwortung entfremdet". Menschen wie zum Beispiel Philipp*. Der 21-jährige Koblenzer hat in seinen jungen Jahren bereits eine wahre Krankenhaus-Odyssee durch Deutschland hinter sich gebracht, bevor er schließlich in der Wohngruppe des Leistner-Hauses unterkam. Als 16-jähriger entwickelte sich bei ihm, ohne dass es von ihm selbst und seiner Umgebung bemerkt wurde, das Krankheitsbild einer Angst-Psychose und Paranoia. Philipp verbarrikadierte sich in seinem abgedunkelten Zimmer und brach jeden Kontakt zur Außenwelt ab. Heute berichtet der junge Mann voll Enthusiasmus von seiner ersten unabhängigen Fahrradtour durch die Natur. Für Philipp war das die Entdeckung einer neuen Welt, die in seinem Leben seit Jahren nicht mehr existiert hatte. Ein wichtiger Schritt hin zu dieser Entwicklung war neben der menschlichen Betreuung vor allem der geregelte Tagesablauf im Leistner-Haus. "Der wiederkehrende Rhythmus und die Konsequenz der Betreuer haben mir den entscheidenden Halt gegeben", ist Philipp sicher. Nächstes Jahr will er das Leistner-Haus verlassen, seinem erlernten Beruf nachgehen und sein Leben ohne Angst leben. Seine Stimme und Körperhaltung verraten das Selbstbewusstsein und den Willen das Angekündigte auch tatsächlich in die Tat umzusetzen. *Persönliche Daten wurden von der Redaktion geändert.

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