Ein Stück Wittlich kehrt zurück

WITTLICH. Das Textilgeschäft des jüdischen Händlers Emil Frank zählte vor der Hitler-Diktatur zu den besten Häusern am Markt. Von den Nazis aus der geliebten Heimat vertrieben, starb Frank als gebrochener Mann im Exil. Über Umwege ist sein Wäscheschrank an die Lieser zurückgekehrt. Er soll in der Synagoge ein dunkles Kapitel Geschichte greifbar machen.

Damals kannte in Wittlich und Umgebung fast jeder Emil Frank. "Alle haben beim Emil gekauft. Meine Mutter auch", sagt die 86-jährige Maria Musseleck. Auch sie sei öfter geschickt worden, im Textilgeschäft Frank Nähseide oder andere Kleinigkeiten zu besorgen. Mit Kleidung, Stoffen und allem Möglichen an Schneiderzubehör hatte sich die jüdische Familie ein stattliches Geschäft am Wittlicher Markt aufgebaut - dort, wo heute "Freckmann" seine Waren verkauft. Für ältere Wittlicher ist der Name Emil Frank wie ein Schlüssel zu Erinnerungen an eine Zeit, in der Juden ebenso zum Wittlicher Alltag gehörten wie die Nazis. Maria Musseleck erzählt von ihrer jüdischen Schulfreundin Trudel Wolff ebenso wie von ihrer Tante, die sie zu ihrer großen Überraschung mit goldenem Partei-Abzeichen kurz vor Kriegsende im Zug traf. "Nein, ruhig waren wir nicht", sagt Musseleck, deren Onkel, "weil er kein Nazi war", in Dachau inhaftiert war. "Es gab viele Leute, die mutig waren, die was gesagt haben. Aber wenn sie sich zusammengeschlossen hätten, wären sie doch sofort weg gewesen. Was hätten wir denn machen sollen?", fragt Musseleck. Eine Frage, die sie noch heute beschäftigt.Emil Frank - einer von 270 Wittlicher Juden

Auf Emil Frank angesprochen, fallen auch dem in Amerika lebenden Juden Kurt Ermann zahlreiche Erinnerungen an seine Wittlicher Zeit ein. Geschichten über Schulfreunde, über Mitläufer, über seinen Onkel, der in Dachau starb und seine Flucht ins Exil. Frank beschreibt er ähnlich wie Maria Musseleck als einen angesehenen Mann, sympathisch, geschäftstüchtig, fröhlich. Zigarre rauchend habe man ihn oft gesehen. Dann verblasst die Erinnerung. Zu jung waren Musseleck und Ermann, um den Geschäftsmann besser gekannt zu haben. Emil Frank war einer von rund 270 Wittlicher Juden. In seinem Domizil am Markt eröffneten die Nazis bereits zwei Jahre vor der Reichspogromnacht 1938 ein "deutsches Geschäft". "Das war eine schlimme Zeit, das können sie sich heute gar nicht mehr vorstellen", sagt Musseleck, in deren Erzählungen der gesellschaftliche Bruch immer wieder deutlich wird. Wie jüdische Mitbürger zur Flucht gezwungen wurden oder über Nacht verschleppt wurden und in Konzentrationslagern vergast wurden. Franks Wäscheschrank fiel in die Hände seiner Haushälterin, einer Tante der im November verstorbenen WDR-Redakteurin Ursula Junk (der TV berichtete). Junk verfolgte die Geschichte ihres Erbstücks bis nach Wittlich (siehe Hintergrund) und wünschte sich kurz vor ihrem Tod, dass der Schrank wieder nach Wittlich kommt - die Stadt, die Emil Frank so geliebt hat. "Man dreht den Schlüssel um, und fragt sich, wie oft der Besitzer ihn wohl umgedreht hat", sagt Marianne Bühler, Mitglied im Arbeitskreis "Jüdisches Leben in Wittlich" (siehe Hintergrund) und Mitarbeiterin im Emil-Frank-Institut, wo das Möbelstück provisorisch untergebracht ist. "Der Schrank soll auf jeden Fall in die Synagoge. Da gehört er hin", sagt der Pressesprecher der Stadt, Ulrich Jacoby. Damit geht auch für den Leiter des Emil-Frank-Instituts, Professor Reinhold Bohlen, ein Wunsch in Erfüllung. Er begrüßt es, dass das "Stück plastische Geschichte" in die Gedenkstätte kommen soll. Abgesehen davon, dass die Synagoge der Ort zum Gedenken an die Wittlicher Juden ist, ist auch die Familie Frank mit dem Bauwerk verbunden: Franks Vater hatte sich maßgeblich für den Bau des Gotteshauses eingesetzt, Emil Frank war bis 1936 Vorsteher der jüdischen Gemeinde. Das Emil-Frank-Institut plant, mit einer mediengestützten Präsentation, die über die Geschichte des einstigen Besitzers informiert, dem Möbelstück neues Leben zu geben. So soll der Schrank des vertriebenen Wittlichers zum Nachdenken anregen. Bühler ist überzeugt: "Je weniger Zeitzeugen noch leben, desto mehr helfen Gegenstände, einen emotionalen Zugang zur Geschichte zu finden."

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