Ein Weltbürger in der Eifel

MANDERSCHEID. Der Ostexperte Professor Wolfgang Leonhard (83) ist ein Weltbürger: In Wien wurde er geboren, in Berlin ist er aufgewachsen, vom 14. bis 24. Lebensjahr lebte er in Moskau, kam mit der "Gruppe Ulbricht" 1945 nach Berlin und floh '49 ins jugoslawische Belgrad. 1950 ging er nach Köln, später nach Manderscheid. Der TV sprach mit ihm über sein Verhältnis zur Eifel. Wieso kamen Sie '64 in die Eifel? Leonhard: Ich bin hier her gekommen, um Bücher zu schreiben. Ich lebte bis dahin nur in Großstädten, zuletzt in Köln. 1964 hatte ich mein Buch "Die Revolution entlässt ihre Kinder" schon geschrieben, "Der Kreml ohne Stalin" war weitgehend fertig, und ich war dabei, eine Chruschtschow-Biografie zu schreiben. Da merkte ich, es wird immer störender in der Großstadt. Jeder kam mal schnell vorbei. Man braucht etwa zwei bis zweieinhalb Jahre absolute Ruhe, wenn man ein Buch schreiben will. Wieso gerade Manderscheid? Leonhard: Anfang 1963 bekam ich einen Verlagsauftrag in der Eifel. Dabei lernte ich die Gegend kennen. Eines schönen Tages kam ich nach Manderscheid. Ich guckte mir den Ort an und dachte total spontan: Hier möchte ich wohnen. Zwei Monate später kaufte ich dort ein Haus. Was genau haben Sie gedacht, als Sie zum ersten Mal nach Manderscheid kamen? Leonhard: Hier war eine Oase der Ruhe, und ich hatte genug Platz. Ich hatte damals nicht wie jetzt 6000, aber immerhin doch schon 3000 Bücher. Und man atmet hier so gut durch, es ist ja Luftkurort. Und dann guckte ich mir die kleinen Weinlokale an und dachte mir, wenn ich wissen will, was die deutsche Bevölkerung denkt, hier erfahre ich es. Ich dachte mir, wenn etwas in Manderscheid durch ist, dann ist es in Deutschland durch (lacht). Alles andere sind Phantasien von irgendwelchen Intellektuellen oder Politikern. Kommen Sie hier gut an die Leute ran? Leonhard: Es gibt da ein Geheimnis. Die Menschen sind sofort zurückhaltend, wenn sie glauben, das ist ein Lokalpolitiker oder jemand von der lokalen Presse. Bei mir wissen Sie, das ist ein Russlandexperte, der mischt sich hier nicht ein, der kann uns nichts, mit dem kann man reden. Das erlebe ich immer wieder. Dann muss ich mich also bei Fragen zu Manderscheid an Sie wenden? Leonhard: Oder Südostasienexpertin werden. Auch eine gute Idee! Wie wurden Sie in Manderscheid empfangen? Leonhard: Ich wurde sehr nett vom Bürgermeister empfangen - es war der dritte oder vierte vor dem jetzigen. Ich habe gleich gesagt, wir machen eine mündliche Vereinbarung: Ich misch' mich nicht ein, kein Manderscheid, keine Eifel, kein Rheinland-Pfalz, gar nichts, und Sie helfen mir, dass niemand mich stört, denn ich komme hier her, um Bücher zu schreiben. Das war eine schöne Vereinbarung. Wie konnten Sie von '66 bis '87 in den USA lehren und in Manderscheid wohnen? Leonhard: Es war die Traumlösung, die ich niemals in einer Großstadt hätte machen können. Am 3. Januar jeden Jahres flog ich immer nach Yale und kam am 3. Juni wieder nach Manderscheid, so dass ich die ungewöhnliche Doppeladresse Yale-Universität und Manderscheid-Eifel hatte. Ist Manderscheid Ihre Heimat? Leonhard: Ja, eindeutig. Ich freue mich, wenn ich hier her komme. Ich war in meinem ganzen Leben nirgends 40 Jahre. Hier bin ich also die Hälfte meines Lebens. Wir haben, wenn man ernst ist, ja fünf Loyalitäten. Man hat sein Dorf, das Bundesland, die Bundesrepublik Deutschland, Europa und die Welt. Manderscheid und die Welt sind meine engsten Loyalitäten. Es ist ein sympathischer Ort, die Leute sind sehr nett zu mir, allerdings bin ich eben nur Konsument. Ich hatte hier nie irgendeine wirtschaftliche Tätigkeit, nie eine Einmischung, ich bin ein bequemer Bürger. Das bringt mich zu Ihrer Frau, die da ja ein ganz anderes Leben führt. Wo haben Sie sie kennen gelernt? Leonhard: Ich bin keineswegs Karrierist, der unbedingt eine Bundestagsabgeordnete heiraten wollte. Ich lernte meine Frau - wie viele Menschen, die ich kenne - bei einem Vortrag kennen. Damals war sie Studentin. Ich konnte nicht im entferntesten ahnen, dass sie sich mal im Bundestag bewegen wird. Wird zu Hause am Küchentisch auch über Politik diskutiert? Leonhard: Sie haben wunderbare Vorstellungen, die ich früher auch hatte, von dem Wirken einer parlamentarischen Demokratie (lacht). Wie sieht die Realität aus? Leonhard: Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen - ich lebte zehn Jahre unter Stalin - ich bin absolut für die parlamentarische Demokratie. Mit Bundestagsabgeordneten ist es aber fast unmöglich, irgendwelche Sachen zu diskutieren, dazu ist überhaupt keine Zeit. 60 Prozent der Zeit gehört Berlin und was damit zusammenhängt und 40 Prozent dem Wahlkreis. Und irgendwo an einem Schnittpunkt zwischen Berlin und Wahlkreissachen trifft man sich dann schnell mal hier. Aber sonntags haben wir manchmal zwei, drei Stunden, dann können wir hier ungestört sitzen. Dann wird wohl nicht über Politik gesprochen. Leonhard: Ich mische mich niemals - ganz abgesehen davon, dass das verfassungsmäßig gar nicht zugelassen ist - in die Tätigkeit einer Bundestagsabgeordneten ein, auch wenn sie meine Frau ist. Diskutieren ist ja verfassungsmäßig nicht verboten. Leonhard: Diskutieren ja, aber bei Entscheidungen sind sie nur dem eigenen Gewissen verpflichtet. Ich habe mal gesagt, sie ist für alle Bereiche Deutschlands, EU, Nato, internationale Beziehungen zuständig und ich für russische Innenpolitik (lacht). Es ist vielleicht etwas übertrieben, aber so ungefähr haben wir das geregelt. Und sie hat den direkten Einfluss auf die politische Willensbildung und ich habe den indirekten. Im Sinne der politischen Bildung und Aufklärung kann ich Teile der öffentlichen Meinung durch Vorträge, Artikel, Interviews beeinflussen. Die Fragen stellte unsere Redakteurin Marion Maier. Lesen Sie weiter auf SEITE 10.

Wieso kamen Sie '64 in die Eifel? Leonhard: Ich bin hier her gekommen, um Bücher zu schreiben. Ich lebte bis dahin nur in Großstädten, zuletzt in Köln. 1964 hatte ich mein Buch "Die Revolution entlässt ihre Kinder" schon geschrieben, "Der Kreml ohne Stalin" war weitgehend fertig, und ich war dabei, eine Chruschtschow-Biografie zu schreiben. Da merkte ich, es wird immer störender in der Großstadt. Jeder kam mal schnell vorbei. Man braucht etwa zwei bis zweieinhalb Jahre absolute Ruhe, wenn man ein Buch schreiben will. Wieso gerade Manderscheid? Leonhard: Anfang 1963 bekam ich einen Verlagsauftrag in der Eifel. Dabei lernte ich die Gegend kennen. Eines schönen Tages kam ich nach Manderscheid. Ich guckte mir den Ort an und dachte total spontan: Hier möchte ich wohnen. Zwei Monate später kaufte ich dort ein Haus. Was genau haben Sie gedacht, als Sie zum ersten Mal nach Manderscheid kamen? Leonhard: Hier war eine Oase der Ruhe, und ich hatte genug Platz. Ich hatte damals nicht wie jetzt 6000, aber immerhin doch schon 3000 Bücher. Und man atmet hier so gut durch, es ist ja Luftkurort. Und dann guckte ich mir die kleinen Weinlokale an und dachte mir, wenn ich wissen will, was die deutsche Bevölkerung denkt, hier erfahre ich es. Ich dachte mir, wenn etwas in Manderscheid durch ist, dann ist es in Deutschland durch (lacht). Alles andere sind Phantasien von irgendwelchen Intellektuellen oder Politikern. Kommen Sie hier gut an die Leute ran? Leonhard: Es gibt da ein Geheimnis. Die Menschen sind sofort zurückhaltend, wenn sie glauben, das ist ein Lokalpolitiker oder jemand von der lokalen Presse. Bei mir wissen Sie, das ist ein Russlandexperte, der mischt sich hier nicht ein, der kann uns nichts, mit dem kann man reden. Das erlebe ich immer wieder. Dann muss ich mich also bei Fragen zu Manderscheid an Sie wenden? Leonhard: Oder Südostasienexpertin werden. Auch eine gute Idee! Wie wurden Sie in Manderscheid empfangen? Leonhard: Ich wurde sehr nett vom Bürgermeister empfangen - es war der dritte oder vierte vor dem jetzigen. Ich habe gleich gesagt, wir machen eine mündliche Vereinbarung: Ich misch' mich nicht ein, kein Manderscheid, keine Eifel, kein Rheinland-Pfalz, gar nichts, und Sie helfen mir, dass niemand mich stört, denn ich komme hier her, um Bücher zu schreiben. Das war eine schöne Vereinbarung. Wie konnten Sie von '66 bis '87 in den USA lehren und in Manderscheid wohnen? Leonhard: Es war die Traumlösung, die ich niemals in einer Großstadt hätte machen können. Am 3. Januar jeden Jahres flog ich immer nach Yale und kam am 3. Juni wieder nach Manderscheid, so dass ich die ungewöhnliche Doppeladresse Yale-Universität und Manderscheid-Eifel hatte. Ist Manderscheid Ihre Heimat? Leonhard: Ja, eindeutig. Ich freue mich, wenn ich hier her komme. Ich war in meinem ganzen Leben nirgends 40 Jahre. Hier bin ich also die Hälfte meines Lebens. Wir haben, wenn man ernst ist, ja fünf Loyalitäten. Man hat sein Dorf, das Bundesland, die Bundesrepublik Deutschland, Europa und die Welt. Manderscheid und die Welt sind meine engsten Loyalitäten. Es ist ein sympathischer Ort, die Leute sind sehr nett zu mir, allerdings bin ich eben nur Konsument. Ich hatte hier nie irgendeine wirtschaftliche Tätigkeit, nie eine Einmischung, ich bin ein bequemer Bürger. Das bringt mich zu Ihrer Frau, die da ja ein ganz anderes Leben führt. Wo haben Sie sie kennen gelernt? Leonhard: Ich bin keineswegs Karrierist, der unbedingt eine Bundestagsabgeordnete heiraten wollte. Ich lernte meine Frau - wie viele Menschen, die ich kenne - bei einem Vortrag kennen. Damals war sie Studentin. Ich konnte nicht im entferntesten ahnen, dass sie sich mal im Bundestag bewegen wird. Wird zu Hause am Küchentisch auch über Politik diskutiert? Leonhard: Sie haben wunderbare Vorstellungen, die ich früher auch hatte, von dem Wirken einer parlamentarischen Demokratie (lacht). Wie sieht die Realität aus? Leonhard: Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen - ich lebte zehn Jahre unter Stalin - ich bin absolut für die parlamentarische Demokratie. Mit Bundestagsabgeordneten ist es aber fast unmöglich, irgendwelche Sachen zu diskutieren, dazu ist überhaupt keine Zeit. 60 Prozent der Zeit gehört Berlin und was damit zusammenhängt und 40 Prozent dem Wahlkreis. Und irgendwo an einem Schnittpunkt zwischen Berlin und Wahlkreissachen trifft man sich dann schnell mal hier. Aber sonntags haben wir manchmal zwei, drei Stunden, dann können wir hier ungestört sitzen. Dann wird wohl nicht über Politik gesprochen. Leonhard: Ich mische mich niemals - ganz abgesehen davon, dass das verfassungsmäßig gar nicht zugelassen ist - in die Tätigkeit einer Bundestagsabgeordneten ein, auch wenn sie meine Frau ist. Diskutieren ist ja verfassungsmäßig nicht verboten. Leonhard: Diskutieren ja, aber bei Entscheidungen sind sie nur dem eigenen Gewissen verpflichtet. Ich habe mal gesagt, sie ist für alle Bereiche Deutschlands, EU, Nato, internationale Beziehungen zuständig und ich für russische Innenpolitik (lacht). Es ist vielleicht etwas übertrieben, aber so ungefähr haben wir das geregelt. Und sie hat den direkten Einfluss auf die politische Willensbildung und ich habe den indirekten. Im Sinne der politischen Bildung und Aufklärung kann ich Teile der öffentlichen Meinung durch Vorträge, Artikel, Interviews beeinflussen. Die Fragen stellte unsere Redakteurin Marion Maier.Lesen Sie weiter auf SEITE 10.

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