Ein bisschen Frieden

Es ist kein Open Air wie jedes andere: Beim Lott-Festival in Raversbeuren haben am Wochenende über 6000 Zuschauer jeden Alters ein Fest der etwas anderen Art gefeiert.

Raversbeuren. So läuft das in England nicht, bestimmt nicht: Während das britische Rock-Trio "Amplifier" gerade das erste Stück spielt, erklimmt seelenruhig eine vielleicht 17-Jährige die ein Meter hohe Lott-Bühne. Sie lässt sich vom Sänger drücken, tanzt ausgelassen, reißt die Arme nach oben. So, dass man fast glauben könnte, das sei alles Teil der Show. So weit, so okay.

Die Bühnen-Eroberung inspiriert dann aber ein paar andere Jungs, die auch mal wissen wollen, wie sich das Rampenlicht anfühlt.

Ein Problem ist das nicht. Aber beim seit über 30 Jahren etablierten Lott-Festival schwingt immer auch ein kleines bisschen Ungewissheit mit. Die Ungewissheit, ob ein Festival ohne Einlass-Kontrollen, ohne Pitbull-gesichtige Security vor der Bühne, ohne Vip-Hostessen und überteuertes Bier noch in die Gegenwart passt. Dabei ist die Lott-Zielgruppe mittlerweile so breit, dass sie für Werber und PR-Leute nur noch zum großes Fragezeichen wird: vom Kleinkind - Lott-gezeugt, wie manche Mutter ungefragt gerne mal betont - bis zum 60-Jährigen. Da steht Punk neben Althippie, Student neben Lehrer, Rocker neben kölschem Hip-Hop-Fan, der mit der Musik zwar "nicht so viel anfangen kann", dafür aber mit dem Ambiente: "So eine nette Atmosphäre gibt es sonst nirgends", sagt er. Auch die Stände teilen sich nicht die üblichen Groß-Event-Verdächtigen. Da wird "indianische Pfanne" nach Hopi-Rezept gebrutzelt, andere verkaufen Batik-Tücher, geschnitzte Amphibien, afrikanische Holz-Masken. Lange bevor der neue Bayern-Trainer Jürgen Klinsmann die auch für die breite Masse wohnzimmerfähig gemacht hat. Gitarren-Designer Stuart Malcolm Bilcock aus Morbach, seit Jahren mit einem Gitarrenstand dabei, schätzt dann auch das (Groß-)Familiäre: "Man kennt sich einfach seit langer Zeit. Es ist einfach ein angenehmes Festival mit vielen netten Leuten", sagt der langhaarige Endvierziger. Auf seine Fingerknöcheln hat er sich einst "Peace" tätowieren lassen. Ein Motto, das man auch der Lott verpassen kann.

Die Bands spielen beim Drei-Tages-Festival zwar eine nicht ganz so dominante Rolle wie bei anderen Festivals dieser Größe. Aber clever zusammengestellt war auch die 2008er-Auflage.

Am Freitag rückte dabei Indie- und Brit-Rock in den Fokus. Nach den beherzt rockenden "Amplifier" legten mit "Slut" und "Polarkreis 18" zwei Größen der deutschen Indie-Szene die Lott-Messlatte hoch.

Ein Höhepunkt des Samstags ging schon nachmittags über die Bühne: Da spielte "Mary Greenwood", eine Band, die aus behinderten und nicht behinderten Musikern besteht - und lieferte dabei einen eindrucksvollen Auftritt mit ungestümer Kraft ab. Die Konsensband des Abends war die "Youngblood Brass Band", die einen sehr tanzbaren Mix aus Hip Hop mit Jazz-Elementen hinlegte. Für das nächtliche Glanzlicht sorgte "Lühning" mit Sängerin Inga Lühning mit einer feinen Mischung aus Jazz, Songwriter-Pop und Elektronik. Traditioneller Abschluss war am Sonntag der Auftritt von "Crazy Crizzy and the Crizzley Beers".

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort