Ein stummer Zeuge

WITTLICH. (sos) Von der jüdischen Vergangenheit der Stadt zeugen auch Straßennamen, auch wenn sich dieser Hintergrund auf den ersten Blick nicht mehr erschließt. So ist es auch bei der kleinen Böhmerstraße, die von der Himmeroderstraße in die Oberstraße führt.

Die Geschichte der Juden in Wittlich war - wie anderenorts auch - eine der Beschränkungen. Zu den erlassenen "Judenordnungen" zählten unter anderem strenge Regeln, die ihren Aufenthalt reglementierten. Was das mit der heutigen Böhmerstraße zu tun hat? Dazu findet man eine Erklärung in einer Dokumentation über "Die Judengemeinde in Wittlich" von Franz Schmitt im Kreisjahrbuch 1991. Der Autor schreibt: "Die Juden mussten in den Städten in besonderen Gassen wohnen. Wie sie in Trier schon zur Zeit des Erzbischofs Otto von Ziegenhain (1418 bis 1430), nach dem übrigens Wittlichs erste Burg Ottenstein benannt worden war, in einer besonderen Gasse in der Nähe des Marktes wohnten, wurde auch den Juden in Wittlich in der Nähe des Marktplatzes ein Gässchen als Wohnstraße zugewiesen." Allerdings dürften sich Juden nach der großen Vertreibung 1348/49 erst ab 1620 wieder in Wittlich angesiedelt haben. Daher dürfte der Name Böhmergässchen aus dem 17. Jahrhundert stammen, wozu Franz Schmitt erklärt: "Die Überlieferung weiß zu berichten, die ersten Juden, die sich in der Amtsstadt Wittlich niederließen, seien polnische Juden aus Böhmen gewesen, weshalb der betreffende Straßenzug die Bezeichnung Böhmergässchen erhalten habe." Daneben lagen übrigens die Gebäude des früheren Hospitals Sancti Wendelini, dessen Kapelle die jüdische Gemeinde 1831 erwerben konnte. Diese alte Hospitalskapelle wurde bis 1910 als Synagoge genutzt. 1909 wurde der Grundstein für die neue Synagoge gelegt, die unter der nationalsozialistischen Judenverfolgung in der Reichspogromnacht 1938 geschändet wurde. Die Juden, die nicht fliehen oder auswandern konnten, wurden 1942 "abtransportiert". Von den Wittlichern jüdischen Glaubens starb jeder Dritte in einem Konzentrationslager. Keiner kehrte in seine Heimatstadt zurück. Jüdische Vergangenheit im Internet dokumentiert

1977 wurde die Renovierung der ehemaligen Wittlicher Synagoge abgeschlossen. Dort informiert eine Dauerausstellung über die Menschen, die einst auch in der Böhmerstraße lebten und Wittlichs Geschichte mitprägten. Die Stadt Wittlich hat auf ihren Internetseiten die jüdische Vergangenheit dokumentiert: www.wittlich.de (unter Kultur und Historie)

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort