Eine Welt voller Wärme und Würde

BERNKASTEL-KUES. Als "ein Defilee verschwundener Dinge und Menschen, die eindrucksvoll in unsere Welt zurückkehren", wurden die Fotos von Alter Kacyzne bei der Vernissage vorgestellt. In der Akademie Kues dokumentieren sie den jüdischen Alltag der 1920er Jahre.

Es gab auch das intellektuelle, moderne, progressive und bourgeoise jüdische Leben in Polen. Alter Kacyzne selbst war ein prominenter Vertreter der Warschauer Bohème. Auf seinen Fotos hält er allerdings die krasse Gegenwelt im Bild fest: Arm, oft elendig kommen die Gestalten daher, arbeitslos, mit Schwielen an den Händen, die Kinder barfuß, die Frauen mit der Wäsche unterm Arm, die im Fluss gewaschen werden muss.Letzte Dokumente einer verschwundenen Welt

Hier verkauft ein kleiner Bursche illegal Gebäck, weshalb er stetig auf der Hut vor der Polizei sein muss, dort wartet eine Frau beim ärmlichen Sabbatmahl auf ihre Familie. Kein Wunder, dass diese Menschen von einem besseren Leben träumten: Wer immer es schaffte, zog fort aus dem Schtetl ins gelobte Land, nach Amerika. Was der Fotograf, Dichter, Dramatiker, Journalist und Redakteur Alter Kacyzne auf bemerkenswert ausdrucksstarken Schwarz-weiß-Fotografien festgehalten hat, sind letzte Dokumente einer bereits kurz danach verschwundenen Welt. Die einen gingen nach Amerika, die anderen wurden in der Zeit des Nationalsozialismus' ermordet. Auch Kacyzne selbst fiel ukrainischen Kollaborateuren zum Opfer: Brutal brachten sie ihn um. Die einzige Überlebende seiner Familie war die Tochter. Sie trieb auch das Projekt voran, das nun in Buchform vorliegt. Es trägt den Titel "Poyln - eine untergegangene jüdische Welt". Fotografiert hat Kacyzne seine Bilder als Auftragsarbeit: Die jiddische New Yorker Tageszeitung "Forverts" wollte den emigrierten Ostjuden letzte Erinnerungen an die zurückgelassene Heimat bewahren und ihnen gleichzeitig tröstend vor Augen führen, dass sie sich richtig entschieden hatten. Die Ausstellung, die in zwei Stockwerken der Akademie Kues zu sehen ist, hat das Bündnis für Menschlichkeit und Zivilcourage an die Mosel geholt. Sein Vorsitzender Yaghoub Khoschlessan schaffte es, mit Daniela Mantovan-Kromer die ideale Rednerin für die Vernissage zu verpflichten. Die Dozentin der Heidelberger Hochschule für jüdische Studien stellte die Arbeiten Kacyznes in den richtigen historischen und kunstgeschichtlichen Rahmen und blieb trotz des hohen wissenschaftlichen Anspruchs für alle verständlich. Trotz aller unverkennbaren Armut auf den Fotos entdeckte nicht nur Verbandsgemeindebürgermeister Ulf Hangert "eine Welt voller Wärme und Würde". Er hofft, dass sich viele Besucher von der Ausstellung berühren lassen. Die Fotos werden eine Woche früher als angekündigt wieder aus der Akademie Kues ausziehen: Am 18. September geht es weiter nach Schweich. Buchtipp zur Ausstellung: Alter Kacyzne: Poyln - eine untergegangene jüdische Welt, erschienen im Aufbau-Verlag, ISBN 3-351-02497-5, gebunden, 163 Seiten, 39,88 Euro.

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