Eine enttäuschte Liebe

WITTLICH. Die Autorin Gudrun Pausewang ist Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen gleichermaßen ein Begriff. Zum Anfassen präsentierte sie sich den Neuntklässlern des Cusanus-Gymnasiums. Die "Lesescouts" hatten sie eingeladen.

Gudrun Pausewang kam zu den Neuntklässlern des Wittlicher Cusanus-Gymnasiums als Zeitzeugin, die kein Blatt vor den Mund nimmt. Von ihren persönlichen Erlebnissen während des Nationalsozialismus berichtet die Schriftstellerin nicht allein in ihren Büchern. Im kommenden Jahr - dem 60. Jahrestag des Untergangs des Nazi-Regimes - wird sie ein weiteres veröffentlichen. Sie hat auch den Mut, sich Auge in Auge den Fragen ganz junger Deutscher zu stellen, ihnen Rede und Antwort zu stehen bei ihren Recherchen über die Hitlerzeit. Selbst wenn diese Fragen manchmal auf sich warten lassen, verliert Pausewang weder Haltung noch die ihr offenbar eigene, geduldige Behutsamkeit mit der jungen Generation. "Still kann einer aus vielerlei Gründen werden", antwortet sie dem Lehrer im Raum, der sichtlich ungeduldiger auf die zunächst "schweigende Masse Schüler" reagiert als sie selbst. "Still kann man auch werden, weil man nachdenklich geworden ist." Und mit dieser Einschätzung liegt Gudrun Pausewang richtig. Reime wie "Händchen falten, Köpfchen senken - und an Adolf Hitler denken" mögen zwar der engagierten Schriftstellerin in Fleisch und Blut übergegangen sein. Die jungen Menschen hören sie jedoch an diesem Vormittag zum ersten Mal. Auch das Bekenntnis aus dem Mund einer sympathischen Frau, die nach 1945 ein aufregendes Leben geführt hat - "Ich war also selbst eine überzeugte Nazi" - vernehmen die meisten zum ersten Mal in dieser Deutlichkeit. Pausewang berichtet von schulischen Aufsatzthemen wie "Süß und ehrenvoll ist es, fürs Vaterland zu sterben": Glaubenssätze, die die meisten Vertreter ihrer Generation verinnerlicht hätten, sagt sie. Mit dem Schicksal gehadert habe sie, weil sie ein Mädchen war und somit nicht an die Front hätte ziehen können. Sie schont weder sich noch ihre Landsleute. Eine Schutzbehauptung, sagt Pausewang, sei die Aussage, damals von nichts gewusst zu haben. Es trage sich halt nicht so leicht an persönlicher Schuld: "Mit der Wahrheit hat das aber nichts zu tun." Als die Nachricht von Hitlers Tod durchs Radio gekommen war, habe sie fürchterlich geweint. Erst ganz langsam sei bei ihr die Erkenntnis gewachsen, wie menschenverachtend die Nazi-Idee gewesen war: "Das war fast so schlimm wie eine enttäuschte Liebe." Und dann liest sie vor, liest die Geschichte von der Familie Birnbaum, die ihr eine andere Dame einst im Zug erzählt hatte. Familie Birnbaum wurde wie so viele abgeholt an einem Tag im Jahre 1942: Vater, Mutter, Kinder und der Großvater. Als der Wagen um die Ecke gebogen war, holten sich die Nachbarn aus dem Birnbaumchen Haus, was immer sie gebrauchen konnten.Pausewang schreibt nicht über düstere Themen

Die Mutter der Frau, die Gudrun Pausewang diese Geschichte erzählt hatte, nahm die Küche in Beschlag. Sie ließ ihre Kinderschar am bereits gedeckten Tisch Platz nehmen, rührte mit der Schöpfkelle die noch heiße Suppe auf dem Herd um, und teilte ihrem Nachwuchs zufrieden mit, dass die Birnbaums schon immer einen guten Geschmack gehabt hätten. Bereits in diesem Augenblick benutzte sie eine Form der Vergangenheit. Doch Pausewang schreibt nicht über düstere Themen. "Manche meiner Geschichten sind ausgesprochen heiter", bekennt sie am Cusanus-Gymnasium. Der "Spinatvampir" sei so ein Beispiel. Da klingelt es, die Zeit ist um. Die erste Gruppe Schüler geht, die zweite nimmt Platz. Mitten ins Gewimmel platzt eine sechste Klasse samt Deutschlehrerin: "Entschuldigen Sie, Frau Pausewang, wir gehören zwar nicht hierher", sagt Magdalene Sixel achselzuckend, "aber meine Schüler wollten sie unbedingt wenigstens einmal sehen." Die Schreiberin fühlt sich geehrt. Sie begrüßt lachend ihre Fans, die "Die Not der Familie Caldera" gelesen haben. Und irgendwie glaubt man plötzlich selbst an ihre zuvor verkündete Theorie, dass das Buch auch in der Welt der Bildschirme ganz bestimmt nicht aussterbenwird.

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