Erinnerung an NS-Zeit

MINHEIM. Zur gleichen Zeit wie die Familie von Anne Frank war auch Gerd Klestadt, Jahrgang 1932, im Konzentrationslager Bergen-Belsen eingesperrt. Als Zeitzeuge hofft er, der jungen Generation Klarheit über die Vergangenheit und Hoffnung für ein friedlicheres Zusammenleben in der Zukunft geben zu können.

 Nach schwersten Depressionen und jahrelanger Therapie hat Gerd Klestadt die Kraft, vor Publikum über seine Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus zu sprechen.Foto: Petra Geisbüsch

Nach schwersten Depressionen und jahrelanger Therapie hat Gerd Klestadt die Kraft, vor Publikum über seine Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus zu sprechen.Foto: Petra Geisbüsch

Lange hat Gerd Klestadt die Erlebnisse seiner zerstörten Kindheit verdrängt. In der Begegnungsstätte Minheim, in die die ökumenische Initiative der Jugendarbeit im Dekanat Bernkastel-Piesport und im evangelischen Kirchenkreis Trier eingeladen hatte, brachte er sie den Zuhörern näher. Die Bilder von Leichenbergen und deren Gestank, sein Arbeitsplatz, an dem er als Zwölfjähriger die abrasierten Haare von bereits Vergasten sortieren musste, das Ausräubern von in der Nacht Verstorbenen, denen man noch die Schuhe, den Kittel, den Napf abnehmen konnte.Der Tod war allgegenwärtig, jeder dachte nur an die eigene Haut. "Ende der 80er Jahre kamen die Depressionen". Er habe großes Glück gehabt, sagt Klestadt rückblickend. Seine Frau und die Kinder nötigten ihn, professionelle Hilfe eines Psychiaters anzunehmen. So stellte er sich als fast Sechzigjähriger den Erinnerungen. Es war ein harter Weg, den es sich zu gehen lohnte, urteilt er, und ihn hat die Lebensfreude wieder gepackt. Heute hält er Vorträge vor der jungen Generation, um ihnen die Geschichte zu offenbaren und Wege in eine bessere Zukunft zu zeigen. Die beiden Fragen: "Was haben wir daraus gelernt?" und "Haben wir daraus gelernt?" stehen dabei im Mittelpunkt. Treblinka, Majdanek, Auschwitz, Theresienstadt und Mauthausen sind Namen, die im Gedächtnis haften bleiben. Was heute im ehemaligen Jugoslawien geschehe und was in anderen Ländern, die sich zum Beitritt in die Europäische Union bereit machten, zum Beispiel an Roma und Sinti verbrochen werde, davon höre man wenig. Diskutiert würden die wirtschaftlichen, weniger die humanitären Seiten der Staaten. Sein Vortrag schließt mit Fotos aus der Gegenwart ab. Wenn Klestadt das Bild vom elektrisch geladenen Zaun in Bergen-Belsen dem Bild vom Zaun im Abschiebelager in Saarbrücken gegenüberstellt, sprechen die Gesichter seiner Zuhörer Bände. Nur langsam kommt die Diskussion in Gang.Freie Menschen sind zur Veränderung fähig

Die Initiatoren hatten für diese Veranstaltung den 10. Mai gewählt, den zweifachen Jahrestag: 1933 verbrannten die Nazis Bücher von Heine, Brecht, Freud, Hemingway, Remarque; 1940 begann der deutsche Feldzug im Westen. Klestadt nannte neben den sechs Millionen getöteter Juden auch die 1,5 Millionen "Zigeuner", die drei Millionen körperlich und geistig Behinderten und die eine Million Homosexuellen, die Priester, politisch Andersdenkenden oder Menschen, die Verfolgte versteckt hielten: Die Nazis brachten sie alle um. Dennoch zieht er hoffnungsvoll das Fazit: "Freie Menschen sind fähig zu Veränderung."Dabei weiß er , dass Totalitarismus nicht mehr zu bekämpfen ist, wenn er bereits die Macht ergriffen hat. Entscheidend seien Mut und Zivilcourage im Vorfeld.

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