Filmen auf sieben Quadratmetern

WITTLICH. Aus Neugierde kam der Schauspieler Rainer Laupichler auf die Idee, einen Theaterworkshop für Inhaftierte im Wittlicher Gefängnis anzubieten. Heraus kam ein noch ungeschnittener Kurzfilm, der auf einem Festival, vielleicht in Hof, laufen soll.

Schwüle Luft in der überfüllten und grell ausgeleuchteten Zelle im Wittlicher Gefängnis. Strafgefangener Okito sitzt auf dem Klo. Direkt vor ihm steht eine junge Frau mit Kopfhörer und richtet die Filmkamera auf sein Gesicht. Daneben kniet ein Mann mit Schirmmütze. Dahinter hält ein anderer ein Mikrofon an einer langen Halterung ins Geschehen. Die Schirmmütze gibt das Kommando: "Kamera ... Bitte!"Unbedarft geht Laupichler an die Sache ran

Ein Film entsteht auf nicht ganz sieben Quadratmetern. Angefangen hatte das Ganze als Theaterworkshop. Kurz nachdem Schauspieler Rainer Laupichler von Berlin nach Manderscheid zurückgekehrt war, fragte er bei der Wittlicher Justizvollzugsanstalt (JVA) an, ob solch ein Projekt möglich sei. Unbedarft ging er an die Sache ran. "Ich dachte, das könnte für beide Seiten interessant sein." Der Workshop stieß auf offene Ohren bei der JVA-Leitung und auf Interesse bei den Gefangenen. Der neunköpfigen Gruppe war schnell klar, was sie machen wollte: einen Film.Okito schaut in die Kamera und spricht leise: "Weißt du, was ich mache? Ich zieh meine schönsten Klamotten an. Ich schneide mir auch ein bisschen die Haare. Ich setze mich in den Zug und fahre einfach hin..." Behutsam gibt der Schirmmützenmann Anweisungen: "Langsamer, du hast alle Zeit der Welt..." und lobt immer wieder. X Mal wird die Szene wiederholt. Mal stimmt die Betonung nicht, mal gerät Okito ins Stocken. Dann braucht die Kamerafrau Bilder nur vom Mund, nur vom Auge oder aus einer anderen Perspektive. Laupichler hält die ganze Zeit das Mikrofon, fiebert bei jeder Aufnahme mit, gibt Tipps und lobt.Als der Manderscheider im Februar mit dem Workshop im Knast anfing, war er nicht so unbefangen. "Ich hatte Vorurteile und habe mich gefragt: Passiert mir was? Wie verhalte ich mich?" Doch schnell merkte er: "Der direkte Weg ist der beste. Ohne Schmuh, einfach machen. Das klappt prima."So gehen auch die Kamerafrau und der Regisseur vor. Julia Lohmann und Frank Jacobsen sind Freunde von Rainer Laupichler. Sie sind für drei Tage aus Köln angereist, um in Mammutdrehs von 8 bis 19 Uhr das Material für den No-Budget-Film zu sammeln. Laupichler will den – halb dokumentarischen – Kurzfilm auf Festivals, beispielsweise in Hof oder Oberhausen, zeigen.Die Szenen des Films sind fiktiv, aber nah dran an der Wirklichkeit. Laupichler ließ sich von seinen Workshop-Leuten erzählen, was im Knast Thema ist und arbeitete die Fragmente filmisch um. Wiedersehen mit den Eltern, der sechste Geburtstag des nicht anwesenden Sohnes, Selbstmord, Sehnsucht, Trauer, Einsamkeit – alle "Knastis" kennen das, doch keiner soll genau das spielen, was er erlebt hat.Das gelingt nicht immer. Okito erzählt in seiner Rolle, wie es sein könnte, wenn er seine Eltern wiedersehen würde. Okito: "Das ist genau das, was ich mir wünsche. Ich kenne meine Mutter nicht und habe keinen Kontakt zu meinem Vater." Zu nah dran am Leben und der Grund, warum Okito immer wieder an derselben Stelle hängt, analysiert Laupichler. Doch irgendwann ist die Szene im Kasten.Für Laupichler ist die Arbeit im Gefängnis ein Gewinn. "Wenn ich auch erschöpft hier rausgehe, so gehe ich immer befriedigt." Und mittlerweile glaubt er an die therapeutische Wirkung des Schauspielens. "Wenn einer, der aggressiv ist, beim Improvisieren versteht, dass er auch mal elegant einen Schritt zurückgehen kann, dann versteht er das auch im Leben."Konkret können die JVA-Beamten zwar noch nicht von Verhaltensänderungen berichten, doch sorgte die Theatergruppe bereits für Überraschungen. Manfred Döhring, JVA-Lehrer und zuständig für alles Kulturelle im Knast, meint: "Mich begeistert, wie stabil die Leute bei dieser Gruppe bleiben. Oft hören die Gefangenen nach vier bis fünf Wochen bei einem Freizeitangebot auf." Der Theater-Workshop geht nach den Dreharbeiten weiter – und alle sind wieder dabei.

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