Fürchte dich nicht

Fürchte Dich nicht - mit diesen Worten begegnet Christus am Ostermorgen seinen Jüngerinnen und Jüngern. Wovor hätten die sich eigentlich an diesem wundervollen Morgen fürchten sollen? Ich könnte mir vorstellen, sie hatten Angst, auf ihr Verhalten angesprochen zu werden, als Jesus zum Kreuz geführt wurde: Der eine hatte ihn verraten, andere liefen davon, der Rest gab sich seiner Enttäuschung hin.

Und jetzt stand Jesus vor ihnen! Eine Erfahrung, die Sie vielleicht auch schon gemacht haben: Man gerät in etwas hinein, lässt sich zu etwas hinreißen, tut, was man nie von sich selbst gedacht hätte. Im (Morgen-) Licht erkennt man sich selbst nicht wieder. Man möchte sich nur noch verstecken. Nicht wenige Menschen leben so, wie in einem ständigen Versteck. Sie ziehen sich aus allem zurück oder richten ihr Leben hinter einer Fassade ein. Menschen, so zumute, müssen vor Jesus gestanden haben, als er sagte: Fürchtet euch nicht! Ostern bricht dort in ein Leben hinein, wo Menschen sich so begegnen, dass sich niemand mehr verstecken möchte. Dass sich jemand durch das, was er getan hat, nicht mehr entstellt fühlt, egal, was vorgefallen ist. Ostern ist dort, wo ein Mensch nicht mehr im Boden versinken will, sondern sich zum Leben aufgerichtet fühlt. Ich glaube, dass jede und jeder von uns die Macht hat, mit seinen Blicken und Worten bis zum Guten eines anderen Menschen vorzudringen, gleich wie dick dessen Kruste seiner Scham und Unzulänglichkeit ist. Wo wir das wagen, gegen allen Stolz, alle Kränkung, treten wir tatsächlich aus dem eigenen Schatten in ein neues Licht, das Licht des Ostermorgens. Jörg-Walter Henrich, evangelischer Pfarrer, Traben-Trarbach

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