Ganz allein mit Nikolaus

BERNKASTEL-KUES. Vordenker für die Neuzeit: Nikolaus von Kues, auch Cusanus genannt, gilt als der bedeutendste Philosoph des 15. Jahrhunderts, am Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit. Den Weg in sein Geburtshaus in der Nähe des Kueser Hafens finden jedoch wenige Interessierte.

Mit den Überschwemmungen der Mosel kann Anna Reuter leben. "Dann bin ich allein in meinem Turm", sagt sie mit einem Augenzwinkern. Ihr "Turm" - das ist das Geburtshaus von Nikolaus von Kues, eines der am stärksten vom Moselhochwasser bedrohten Häuser in Kues. Seit 15 Jahren betreut Reuter das ehemalige Haus des Theologen und Philosophen, der als Vordenker beim Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit gilt. Eine Dauerausstellung über das Leben von Nikolaus von Kues ist in dem Haus untergebracht, verschiedene Künstler stellen in einigen Räumen aus. Der große Saal im ersten Stock des mittelalterlichen Gebäudes ist begehrter Veranstaltungsort, etwa für Konzerte der Moselfestwochen. Auch für private Feiern wurde er genutzt, ebenso als Drehort für's Fernsehen. Wegen der etwas abseitigen Lage kommen nicht allzu viele Besucher in das Cusanus-Geburtshaus - häufiger besucht wird das von ihm gestiftete St. Nikolaus-Hospital in Kues. Um die zehn Besucher sind es nach Schätzung von Anna Reuter an einem durchschnittlichen Tag. "Hier kommen die Leute hin, die sich wirklich für Nikolaus von Kues interessieren", sagt sie. Mitunter wird es in dem Haus aber auch ganz schön eng. "Wir hatten schon mal 100 Kinder hier", sagt Reuter. Ihnen habe sie vom Leben im 15. Jahrhundert erzählt, dass es zur Zeit von Nikolaus von Cues kein fließendes Wasser, kein elektrisches Licht und keine Schulen gegeben habe - die Kinder waren begeistert. Regelmäßige Gäste im Cusanus-Haus sind Forscher aus aller Welt. Bücher in verschiedenen Sprachen zeugen in den Vitrinen im Ausstellungssaal davon. "Ich stelle die japanischen Bücher immer falsch herum", sagt Anna Ritter. Ein japanisches Buch wird nämlich mit dem Buchrücken nach rechts hin aufgeschlagen. Ein japanischer Wissenschaftler habe sich bereits von ihr den Schlüssel zu der Vitrine erbeten, um ein Buch richtig zu stellen, erzählt sie. Vor 15 Jahren zog Anna Ritter wegen Nikolaus von Cues an die Mosel. Eine Freundin, die ihr Interesse an Geschichte kannte, hatte davon gehört, dass jemand zur Beaufsichtigung des Hauses gesucht wurde. "Als ich hier angefangen habe, hab ich von den ganzen Sachen nichts gewusst", erzählt sie. Trotzdem habe Helmut Gestrich, der Vorsitzende der Cusanus-Gesellschaft, sie eingestellt. Und, natürlich weiß Ritter inzwischen ausgiebig über Nikolaus von Cues Bescheid. Regelmäßig besucht sie an der Uni Trier Vorlesungen zu philosophischen und geschichtlichen Themen und Kolloquien des Instituts für Cusanusforschung. Die zieht es mitunter nach Bernkastel-Kues - in den Saal im Cusanus-Haus. Der ist nach umfangreicher Renovierung bis 1980 wieder in altem Zustand: Holzbalkendecke, rot-weißer Steinfußboden und weiß getünchte Wände. In den 60er Jahren war das Haus so verfallen, dass sein Abriss in Erwägung gezogen wurde. Durch einen herabstürzenden Balken war sogar ein Mensch tödlich verunglückt. Rettung für das Haus kam von der Deutschen Cusanus-Gesellschaft mit Sitz in Bernkastel-Kues. Sie restaurierte das Gebäude und richtete die Ausstellung ein. Eine Etage des Cusanus-Hauses ist für Besucher tabu: Über eine Wendeltreppe im Seitenturm geht es unters Dach - in die Wohnung von Anna Reuter. Zwischen alten Balken hat sie es sich gemütlich gemacht. "Hier wohne ich", sagt Anna Reuter. "Ganz allein mit Nikolaus."

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