Historischer Hammerflügel wird 200 Jahre alt

Runder Geburtstag in Traben-Trarbach: Vor 200 Jahren entstand in der Werkstatt der Wiener Klavierbaumeisterin Nannette Streicher ein Hammerflügel, der seit fast vier Jahrzehnten seinen Ehrenplatz im Salon des Mittelmosel-Museums hat. Es heißt, schon Beethoven habe seinerzeit in Wien darauf gespielt.

Traben-Trarbach. Der aus Nussbaum gefertigte Flügel mit seinen Ebenholztasten ist die Attraktion im Hause Böcking. Auch die Geschichte um seine Erbauerin, die eine Traben-Trarbacherin erforschte, zieht Besucher aus aller Welt in ihren Bann.

Bis Ende der 1990er Jahre wusste keiner, wie alt und wertvoll das Instrument ist und dass eine Frau es gebaut hat. Die Jahreszahl im Inneren war fast unleserlich, der damalige Museumswart Werner Ohletz und ein Mitglied des Museumsvereins einigten sich auf 1817, was der auf Streicher-Instrumente spezialisierte Klagenfurter Klavierbaumeister Alexander Langer zunächst bestätigte. Zweimal war er in Traben-Trarbach, um bei der Datierung zu helfen. Es galt, die Produktionsnummer im Inneren zu finden, und der Jubel war groß, als der Meister sie schließlich entdeckte und das Baujahr damit auf 1811 datieren konnte. Als letzter Beweis musste das Maßband herhalten: Der Flügel hat eine Länge von 2,26 Meter, "und ab 1817 hat Nannette sie vier Zentimeter länger gebaut", sagte Langer im Gespräch mit dem TV. Als "absolut interessant und seinerzeit revolutionär modern" bezeichnete er das Instrument, das in der Wiener Werkstatt in der Landstraße 301 entstanden ist. Etwa 40 Klaviere hat Nannette Streicher im Jahr 1811 gebaut; weltweit, schätzt der Österreicher, gebe es heute von ihr noch bis zu 50 Instrumente.

Viele sind in Museen zu besichtigen, so unter anderem in Basel, Halle, Nürnberg, Leipzig und Wien. Der Traben-Trarbacher Flügel wird regelmäßig für Konzerte genutzt, und sein Klang fasziniert die Zuhörer, auch wenn er nicht mehr authentisch ist. Einer Restaurierung stehen Klavierbauer durchaus skeptisch gegenüber. "So zu bewahren, wie es jetzt ist und mit Kompromissen zu leben", rät beispielsweise Werner Knopp aus Hetzerath.

Der Standort sollte nicht mehr verändert werden, und wichtig sei eine regelmäßige Kontrolle und Regulierung der Luftfeuchtigkeit, empfiehlt Alexander Langer.

Viele musikalische Höhepunkte hat es im Salon gegeben, und auch Lesungen von Briefen Beethovens an die Klavierbaumeisterin und Liebesbriefe der Nannette Stein an ihren zukünftigen Ehemann Johann Andreas Streicher begeisterten.

Selbst die von einer Traben-Trarbacherin in Wien ausfindig gemachten Ur-Ur-Ur-Enkel der Nannette kamen zu einem Klavierabend mit Jürgen Rehberg, und aus Bonn reiste der Leiter des Beethoven-Hauses an.

Mehrmals drehte das Südwest-Fernsehen Filme über den Flügel, der durch die Reihe "Fahr mal hin" deutschlandweit bekannt wurde.

ExtraLudwig van Beethoven Den Komponisten (1770 bis 1827) verband eine enge Freundschaft zu der ein Jahr älteren Nannette Streicher und ihrem Ehemann. Die Klavierbaumeisterin nahm sich fürsorglich seines chaotischen Haushaltes an. Mehr als 60 Briefe hat der Komponist an sie geschrieben, und sie beziehen sich alle auf fehlende Kleidung, Einrichtung oder das Dienstpersonal. Nannette muss mit Bettdecken, Medizin oder Wischlappen aushelfen. Der zunehmend ertaubende Komponist war auf der Suche nach einem klangstarken Instrument und hat 1817 bei Streichers ein entsprechendes Klavier bestellt, es jedoch nie gekauft. Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass Beethoven in der Streicher-Werkstatt verschiedene Klaviere ausprobiert und tatsächlich das heute im Hause Böcking stehende Instrument gespielt hat. (GKB)ExtraNannette Streicher kommt am 2. Januar 1769 als sechstes Kind des berühmten Orgel- und Klavierbauers Johann Andreas Stein in Augsburg zur Welt. Sie ist sehr musikalisch, spielt mit fünf schon Klavier und interessiert sich für den Klavierbau. Frühzeitig erhält sie daher den Fachunterricht beim Vater, der sie auch zur Pianistin und Sängerin ausbilden lässt. Rund 700 Instrumente stellt Stein mit seiner Tochter und später Sohn Matthäus Andreas her. Als er 1792 stirbt, übernimmt die 23-jährige Tochter das Geschäft. Ein Jahr später reist sie nach Wien, um beim Kaiser eine Konzession für den Klavierbau zu erhalten. 1794 heiratet sie mit 26 den Musiklehrer und Pianisten Johann Andreas Streicher (33), einen Jugendfreund Friedrich Schillers. Im Juli des gleichen Jahres verlegt sie die Klavierfabrik nach Wien. Mit der hochschwangeren Nannette und ihrem Mann ziehen auch der sieben Jahre jüngere Bruder sowie einige Arbeiter um. Sämtliches Fabrikzubehör und Holzvorräte werden auf einem Floß nach Wien gebracht, wo Nannette eine Piano-Fortefabrik unter dem Namen "Frère et soeur Stein" eröffnet. Nachdem der Bruder 1802 ausscheidet, führt sie das Unternehmen allein weiter. Die mehrfache Mutter, Sängerin und Pianistin bittet ihren Ehemann um Unterstützung, der sich ab seinem 40. Lebensjahr die Kenntnisse im Klavierbau von seiner Frau vermitteln lässt. Als Seele des Betriebes überwacht Nannette die Werkstatt, und ihr Arbeitskleid ist über und über mit bunten Flicken bedeckt. Der 1796 geborene Sohn Johann Baptist hat das mütterliche Talent geerbt und tritt mit 16 in das Geschäft ein. Am 16. Januar 1833 stirbt Nannette 14 Tage nach ihrem 64. Geburtstag. Ihr Ehemann überlebt sie nur um vier Monate. Die letzte Ruhestätte finden beide zunächst auf dem St. Marxer Friedhof in Wien, 1891 erhalten sie ein Ehrengrab auf dem Wiener Zentralfriedhof. Johann Baptist Streicher führt das Unternehmen sehr erfolgreich weiter, doch mit seinem Tod 1871 endet die Glanzzeit der Klavierfabrik. Sein Sohn Emil leitet das Unternehmen bis 1896, dann erlischt es. Drei Generationen, Nannette, ihr Sohn und ihr Enkel haben insgesamt etwa 8600 Klaviere gebaut. (GKB)

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