Jazz in der Synagoge

WITTLICH. Es ist bekannt, dass der Innenraum und die Einrichtung der von der jüdischen Gemeinde Wittlich in den Jahren 1908 bis 1910 in der Himmeroder Straße erbauten Synagoge in der unseligen so genannten "Reichskristallnacht" am 9. November 1938 von Männern der Wittlicher SA total zerstört worden ist. Viele Wittlicher wissen über das weitere Schicksal der Synagoge nichts oder nicht viel.

Mit Beginn des Westfeldzuges am 10. Mai 1940 richtete die deutsche Wehrmacht zunächst für kurze Zeit in der Synagoge ein Wehrmachtsdepot ein. Von den französischen Soldaten, die in der ersten Phase des militärisch überlegenen Westfeldzuges in deutsche Kriegsgefangenschaft gerieten, kamen etwa 100 bis 120 Soldaten nach Wittlich, wo sie in der Synagoge eingesperrt wurden. Sie schliefen dort in übereinander stehenden Betten. Täglich wurden sie unter Bewachung durch den Sporgraben zur Arbeit in die Holzindustrie in der Kalkturmstraße geführt. Nach dem schnellen Waffenstillstand mit der von Marschall Pétain geführten französischen Regierung am 22. Juni 1940 verbesserten sich die Haftbedingungen für die französischen Soldaten in der Synagoge. Viele Soldaten haben danach als so genannte Zivilgefangene bei Wittlicher Firmen und Bauern gearbeitet. In der Synagoge hatten die Gefangenen die Möglichkeit, in einer kleinen Küche Essen nach ihrem Geschmack zu kochen. Man kann sich ja gut vorstellen, dass die von der Küche des Hospitals St. Wendelini gekochten Speisen nicht immer nach französischen Geschmack waren. Für die medizinische Betreuung war der Wittlicher Arzt Dr. Friderichs zuständig, für den in der Gaststätte "Eifeler Hof" ein Behandlungszimmer eingerichtet war. Auf der kleinen Bühne im Innenraum der Synagoge spielten die französischen Soldaten für ihre Mitgefangenen Theater. Wie auf einem Foto aus der Fotosammlung von Maria Benteur zu sehen ist, gab es auch eine eigene Hauskapelle, der man den Namen "Gefangenen-Jazz" gab. Als am 10. März 1945 amerikanische Infanterie die Stadt Wittlich eroberte und die US-Infanteristen über die Himmeroder Straße in die Stadt eindrangen, wurden aus den Bewachern der deutschen Wehrmacht in der Synagoge selbst Kriegsgefangene. Die Franzosen kamen zunächst in ein Sammellager nach Trier, bevor sie in ihre Heimat entlassen wurden - und es sind auch welche wieder nach Wittlich zurückgekehrt.

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