Jede Menge Streuselkuchen

WITTLICH. Spricht man mit älteren Wittlichern über die Kolpingsfamilie, so kommt bald ein sanftes Lächeln auf ihre Lippen, wenn sie von Episoden oder Anekdoten aus der Vereinsgeschichte erzählen, die sie selbst erlebt oder von ihren Ahnen gehört haben.

Wenn man die sehr umfangreiche Chronik der Wittlicher Kolpingsfamilie liest, die im vergangenen Jahr zum 150 jährigen Gründungsjahr erschien, so werden eigene Erinnerungen lebendig. Nach gründlicher Musikunterricht im Elternhaus trat ich am 1. Dezember 1949 im zarten Alter von fast 14 Jahren als junger Klarinettist in das Blasorchester Wittlich ein. Geprobt wurde jede Woche im Kolpinghaus. Nach meiner ersten Probe an diesem Donnerstagabend hieß es: "Am Sonntagmorgen müssen wir für den Kolpingverein spielen. Antreten ist um 6 Uhr am Kolpinghaus. Danach gibt es Kaffee und Kuchen." Wir begleiteten mit zünftiger Marschmusik die Mitglieder der Kolpingfamilie aus Anlass des Kolpinggedenktages mit Fackelbeleuchtung durch die dunkle Burgstraße zur St. Markuskirche. Ich beherrschte zwar mein Instrument, marschieren im Takt konnte ich bei weitem noch nicht. Und die Noten auf der Notengabel hüpften immer rauf und runter, also eine große Stütze war ich noch nicht. Vor dem Kirchturm St. Markus schwenkte das Orchester aus und die Kolpingbrüder marschierten mit aufgepflanzter Fahne - die ehemals Gedienten strammen Schrittes - durch das Portal in die Kirche. Als unser Marsch zu Ende war, hörten wir die feierlichen Klänge der Orgel und ich dachte, jetzt gehen wir alle da rein. Dem war aber nicht so. Man zupfte mich am Arm und forderte mich auf: "Komm mit!" Einige Musiker - nicht alle - klemmten ihre Instrumente unter den Arm und verschwanden in Richtung Burgstraße zur Metzgerei und Gaststätte Kiesgen. Der Chef selbst, Metzgermeister Philipp Kiesgen, begrüßte uns mit einem freundlichem "Guten Morgen" und jeder bekam einen Schnaps und ein Bier. "Wat trinkt dä Jung' daan" fragte er und ich wollte schon antworten "Bitte eine Vittelia! - eine Limo, die nach dem Kriege in Wittlich abgefüllt wurde - da riefen die Anderen: "Dä kritt ooch en Bär, dad es unseren Jingsten!" So kam ich am Kolpinggedenktag 1949 zu meinem ersten offiziellen Bier. Und dann saß ich mit dem "Großen" an einem Tisch und die erzählten. Der Andreas und der Willi und all die anderen, die hatten Sprüche und Geschichten drauf, dass meine Ohren glühten. Nach einer guten halben Stunde hieß es "austrinken" und wir stellten uns wieder am Kirchturm auf. Ich glaube schon, dass der Herrgott den Musikern die kleine Sünde verziehen hat. Waren sie doch immer da, wenn die Kirche sie gerufen hat. Nach Ende der Messe stellte sich der Zug wieder in Marschordnung auf die Musik vorne weg - und es ging zurück zum Kolpinghaus. Wenn der "Pauly's Hanni", der die dicke Trommel bediente, so richtig draufschlug, dann schepperten in der engen Burgstraße die Schaufenster. Im Saal des Kolpinghauses roch es schon nach frischem Kaffee. Aber das Orchester musste zuerst noch auf die Bühne ein paar "Märchelcher" spielen. Dann durften wir auch an der großen Kaffeetafel Platz nehmen und dann stand ein großer Teller Streuselkuchen vor mir. Das muss man sich mal vorstellen. 1949 herrschte in vielen Familien noch Not. Und dann stand plötzlich ein ganzer Teller Kuchen vor mir. Es war der beste Streuselkuchen meines Lebens. Als Honorar kriegte das Orchester von der Kolpingfamilie noch eine Flasche Schnaps. Die haben sich die Burschen gegenseitig heimlich in den Kaffee geschüttet, so dass manch einer auf dem Heimweg brummte: "Mir ist so komisch zumute!" Das Kolpinghaus war viele Jahre das Probelokal des Blasorchesters. Auch die Veranstaltungen des Orchesters fanden dort statt. Wir haben uns da sehr wohl gefühlt. Es war eine schöne Zeit.

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